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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0394
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874

Bei Semmelweis.

Als ich vor unsrer Abreise von Wien Abschied von Semmelweis
nahm, gab ich ihm das Versprechen, dem alten Naegele seine Entdeckung
mitzuteilen. Jch habe meine Zusage erfüllt, aber meine Worte ver-
hallten in dem Brausen der Revolution, die dem alten Herrn, wie
ich erzählte, übel mitspielte.

Da ich mir die Aufgabe gestellt habe, die Menschen und Zustände
meiner Jngendjahre getren zu schildern, darf ich den Professor Klein,
den Vorgesetzten von Semmelweis, nicht mit Stillschweigen übergehen.
Jch bin ihm wiederholt im Gebärhause begegnet und er war eine
der typischen Figuren ans dem nachjosephinischen Oesterreich, wo die
Protektion oft sicherer als das Verdienst zu amtlichen Stellen und Lehr-
kanzeln verhalf.

Joseph II. hatte Kleins Vorgänger, den hochbegabten Lukas
Johann Bosr, auf den ersten Schulen Europas zum Geburtshelfer er-
ziehen lassen und ihm die Lehrkanzel für Geburtshilfe in Wien ver-
liehen. Boör galt für den ersten Mann seines Fachs in Europa und
stand bei dem Kaiser in großer Gunst. Gerade deshalb war er den
Nachfolgern Josephs nach dessen frühem Tode und nicht minder dem
Klerns verhaßt. Dazu kam das Unglück, daß die erste Gemahlin des
Erzherzogs nnd späteren Kaisers Franz, die Erzherzogin Elisabeth,
wenige Stunden, nachdem sie Boör entbunden hatte, von Eklampsie be-
fallen wurde und starb. Nunmehr hatten seine Feinde gewonnenes
Spiel am Hofe und Boör legte schließlich, der Ränke müde, 1822 sein
Lehramt nieder. Unter den Bewerbern um die erledigte Stelle galt
Klein, Professor in Salzburg. für den unbedeutendsten — Boer hatte
ihn ausdrücklich als solchen bezeichnet — aber deshalb eben berief
man ihn an seine Stelle, um den verhaßten Josephiner recht zu
kränken. — Jch erzähle diese Dinge, wie sie mir in Wien erzählt wurden.

Klein machte auf uns den Eindruck eines ganz gewöhnlichen
Praktikers. So lange wir in seiner Abteilung beschüftigt waren,
kam er ab und zu in den Gebärsaal, hielt sich jedoch immer nur
knrze Zeit darin ans und ignorierte meinen Freund und mich völlig,
vielleicht weil er, nach der Versicherung der österreichischen Prakti-
kanten, die Ausländer nicht leiden mochte. Eines Abends aber ging
 
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