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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 1.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.8803#0037
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Herzlich willkommen!

Patriotismus

Ich fuhr nach X, einem weltverlassenen
märkischen Nest. Ich kam vier Stunden
zu früh für meinen Zweek an und schleuderte,
wie man so sagt, mißmutig durch die Straßen,
was aber circ Zebertreibung ist, denn das
ganze Ding bestand nur aus einer einzigen
Straße.

Zu allem Zuglück mußte ich bei dem ein-
tönigen Auf und Ab noch einen jener beiden
hinteren Knöpfe verlieren, deren gleichzeitiger
Abfall die öffentliche Sittlichkeit zu gefähr-
den pflegt. And da sich auch sein Kom-
pagnon als ganz lockerer Geselle erwies, so
trat ich schleunigst in den nahen Kaufmanns-
laden und verlangte eine Schachtel Patent-
knöpfe. Das Fräulein sah mich hilflos an,
rief den Chef in Person aus der jenseits
des Flurs betriebenen Gastwirtschaft, dieser
kramte eine Zeitlang mit knochigen Länden
Sehuallen, Bleistifte, Strumpfbänder,
Lockenwickler und ähnliches aus einer ge-
knickten Pappschachtel, stellte diese aber schließ-
lich wieder an ihren Ort zwischen zwei Mar-
garinekisten, indem er bedauerte, mir nicht
dienen zu können. Ob ein zweiter Kauf-
mann am Orte sei? Nein, aber ich sollte
bei der Witwe Iörgeluke anfragen, die be-
triebe nebenbei einen Kram. Des Fräu-
leins Land wies mir den Weg, den ich sonst
sehiverlich gefunden hätte. Denn er geht kaum
meterbreit zwischen zwei Scheunen hindurch.
Dahinter entdecke ich eine Reihe ärmlicher
Fachwerkhäuser, im dritten davon den Kram
der Witwe Iörgeluke, kenntlich durch drei
auf dem Fensterbrett aufgebaute Bonbon-
gläser und ein grellroles, die halbe Scheibe
zudeckendes Plakat:

„An Franzosen und Belgier
wird hier nichts verkauft."

Z um 27. Januar

Lochgefühl die Qemdenbrust durchplatzend,
Tiefuntcrtänigft seinen Glückwunsch schmatzend
Erscheint DEIN treues Volk als Gr-Uulante
In Einheitsfront: von Lelsserich bis Klante.

Voll Neid, doch mit gehe mein Wonnegrusel
Blickt es auf DEINEN zakkermentschen Dusel,
Daß Du, so grad noch im Moment entwetzt. —
(Der wackre Mann denkt an sich selbst zuletzt).

Dieweil wir andern nun in der Bredullje,
Machst Du den Amoroso mit Erfullje,

Labst DIEL) gemach, als schrieb die Welt noch
dreizehn.

An Minchens konservierten Iugendreizen.

Doch ein.s den Lachemund zu Schmerz ver-
krampft:

DEIN Filius Wilhelm hat DIEL über-
trumpft,

Dem zur Erfüllung seiner Gattenzwecke
Man einräumt eine heimatliche 6bccfc

Zn Oels. Dort liegt nun seiner Ruh Land.
„Der künst'ge Fürst" — so prophezeit' schon
Lhland —

Betraust sein Laupt statt glitzernden Juwels
Mit einem Tropfen demokral'schen — Oels!

Der Junge macht dem Zeitgeist Reverenzen,
Der bringt's zu was, mit dem kannst DU
noch glänzen.

Dock weil Dll nicht irach ühlands Wort
gehandelt.

Lat DIR die Krone sich irr Doorn ver-
wandelt!

M i ch. v o n Linde» hccken

C o u l o i r s ch m us

Folgendes ist wahr: Ein Neichskanzlcr,
der noch nicht lange aus dem Amt geschieden
ist. lvill den Reichspräsidenten durch den be-
nachbarte» Garten besuchen. Am Gartentor
schließen sich ihm zwei Kriminalbeamte an,
geleiteit ihn zum Lausportal. harren dort
während der zweistündigen Unterredung aus,
um den heraustreienden Kanzln' wieder in
Empfang zu nehmen und durch den Garten zu-
rückzueskorlieren. Auf eine erstaunte Bemer-
kung des Kanzlers: „Ja, LerrReichskanzler,
Hierim Garten ist so ein bissiger Lund."
*

Viktor Adler traf beim Rundgang
durch die Redaktion der „Arbeiter-Zeitung"
einen jungen Mitarbeiter Kautskys „Karl
Marx' ökonomische Lehren" lesendan. ..Wis-
sen Sie," sagte der Doktor, „dazu weiß ich
Ihnen einen großartigen Kommentar!"
— „Nun, Lerr Doktor!" — „Das Ka-
pital von Karl Marx!"

*

Es war zwei Tage vor den österreichischen
Wahlen. Der bekannte Sozialdemokrat Per-
nerstorfer sollte am letzten Sonntag einen
Scklußgalopp von drei Versammlungen in
Böhmen absolvieren und der „Sozialdemo-
krat" halte in jede der drei Städte, in denen
Pernersiorfcr sprach, einen besonderen Steno-
graphen entsandt, um Pernerstorfers Reden

Zwischen Deutschland u n d fr r a n t r e i cl)
sind Anzeichen zunet> mender Annä he -
rung wahrzunehmen!

am letzten Tage vor der Wahl als besonders
wirksames Agirationsmittel zu veröffentlichen.
Schoit war die Zeitiing umbrochen und auf
der eisten Seite prangte die Manschette:
„Drei R e fc e n unseres Abgeordneten
Perncrstorfer", als einem der Redakteure
doch der Gedanke kam, die Reden vor Er-
scheinen der Zeüung einmal zu lesen. Doch
nach wenigen Minuten stürzte er schreckens-
bleich in die Setzerei, um die Fertigstellung
des Blattes anzuhalten. In allen drei
Reden stand nämlich wörtlich dasselbe.

33

Präludiu m

Q33ic wohl aus den nächsten Zrneu
Wird der deutsche Genitis turnen?
Welchen ideale:: Zlvecken
Wird er diesmal Ziele steckeit?

Znd nach welchen Wahlparolen
Wird man Heuer uns verkohlen?

Allgemach in den Gazetten
Fängt man Deutschland an zu retten.
Die bewährten Pinsel rühren
Sich in den Parteikalüren,

.Ilm die komplemeuten Töne
Auszuspür'n für Deutschlands Söhne!

Deutschland riecht, zumal in Bayern,
Staik nach angefaulteu Eiern!

Es ist sehr viel Mist geflossen
Lim euch, werte Volksgenossen!
Kommt's zur Wahl, ist eines not:
Schämet euch und werdet — rot!

Pfeifer hänslin
 
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