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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 1.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.8803#0202
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Zeichnung von Kümelhard

„Zwei Armeen, die sich Mampfen, sind eine große Armee, die Selbstmord übt!" (Senri Barbusse.)

Armin T. Wegner: Genug vom Kriege!

Jene aber sind nicht besser, die rufen: „Genug vom Kriege — wir wollen uns betäuben mit Wein, Tanz, Religion
Theater, Liebe, Fröhlichke't. Wir sind satt vom Tode!" Die so sprechen, haben das Leiden nicht gekannt. Sie sind
es, die in Wahrheit der Lüge dienen; um eines Witzes, eines schönen Buches willen sind sie bereit, die Stunde um
ihren Schmerz zu betrügen. In ihrem Schlaf, in ihrer Feigheit, ihrer Gedankenlosigkeit, ihrer Armut werden sie den
Frieden immer wieder verraten, wie sie ihn das erste Mal verraten haben.

Wir aber wollen den Krieg singen ohne Ende. Wir Dichter, wir Maler, wir Musiker, wir Schauspieler, wir
Philosophen, wir Volkswirte, wir Menschheitsfreunde, wir wollen den Krieg so furchtbar an die Wände eures Lebens
malen, daß ihr niemals aushört, ihn anzustarren. Wir wollen seine keuchenden Geschütze, die ungezählten Scharen seiner
Lerchen, die den Erdkreis bedecken, seiire blutdurchnäßten Uniformen, die herausgerissenen Gedärme, den ohrenbetäubenden
Lärm, die aufgeschlitz en Leiber der Pferde, die brennenden Städte, die Massengräber, die mit Aas und Kot gefüllt sind,
das Grst der Seuchen, den Eiter der Geschlechtskranken, das Gebrüll der Verwundeten, die hurrgernden Kinder, die
gelben Gesichter der Gefangenen, die von Verzweiflung und Tränen zerrissenen Mütter — mit solcher L ebe, mit solcher
Sorgfalt, mit solcher Hartnäckigkeit ohne Aushören vor euch hinbauen, daß ihr von Entsetzen gepackt, ein zu Tode
gehetztes Wild, durch alle Stunden eurer Zukunft jagt.

Nem, niemals genug vom Kriege! Niemals genug von Saß, Leiden, Verrat, Feindschaft, von zerstörten Feldern,
die keine Saaten mehr tragen, von Fliegern, die sich in den Lüften zersteischen wie Geier. Niemals genug von in der
Tiefe zerrissenen Schissen, von einem Brei von Blut und menschlichen Fleisches, von erschossenen Kindern, Erhängten,
von abgeschnittenen Gliedern und geschändeten Frauen. Niemals genug von feurigen Flammen, die die Gesichter zer--
fressen, von todbringenden Geschossen, die über viele Meilen die Städte zerspalten, die Säuser in Trümmer legen und
den von Kunden angenagten Leibern der Toten, die uns zurufen: „Wofür starben wir?"

Ihr sollt nicht atmen, ohne daß eure Gedanken von den Schrecken der Verssuchung erfüllt sind. Noch die Stunden
eurer Arbeit, eures Müßigganges, eurer Mahlzeiten, eurer Liebe, eures Schlafes wollen wir mit dem ekelerregenden
Geruch des Blutes und der Verwesung füllen, daß euch der Schweiß der Angst auf der Stirn steht und sich die Kehle

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