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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 1.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.8803#0600
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UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT „LACHEN LINKS“

Hans ReLmann: Reu-Lehmannslanö

11. Fortsetzung.

Sproß kein Riebeck-Bier, sprossen keine
Streußelkuchen, keine Lalberstädter, keine
Vergißmeinnichte, keine Kartoffelpuffer, kein
Kirschwasser.

Die tropische Gegend war den sächsischen
Sachien ewige Fremde. Sich zu akklimati-
sieren, würde ihnen nie und nimmermehr ge-
lingen. Die Leimat war unersetzlich. Die
Fremde war Leimais-Ersatz, minderwertigstes
Surrogat. Wo der Mensch zu Lause ist, ge-
hört er hin. Ls gehört sich nicht, Nichtge-
hörigem anzugehören. Es gehört sich, dort hin-
zugehören, wo man hingehört. Neulehmanns-
land war ein Mißgriff. Neulehmannsland
war ein Irrtum. Neulehmannsland war eine
Sackgasse — cum Zrumssimo salis.

Ouus Angehörige waren Ouus Angehörige
Wer zueinander g hört, gehört zueinander.
Zueinandergehöriges läßt sich nicht trennen.
Eventuell waren die Angehörigen Ouus schon
morgen zurSlelleund radierten Neulehmanns-
land von der Landkarte.

In der Nackt überdachte Wilhelm
RobesPierre Lehmann, der auf Posten
stand, die Lage. And während er nach-
dachte, siel ihm ein, daß er den Kalender in
Wurzen liegengelassen halte. Er Halle keine
Ahnung, wann Kaisers Geburtstag, wann
Ostern, wann Pfingsten, wann Reformations-
sest gewesen war oder sein würde. Er hatte
keine Ahnung, ob Weihnachten vor oder hinter
der Tür stand. Er war außer der Zeit und
stand abseits vom Kalendarium. Richards
Ahr war zwecklos. Sie ging nach dem Monde,
den es immer gab, und zeigte nicht die Tage
an. Was aber ist das Leben ohne dramatische
Löhepunkte in Gestalt festlich zu seieinder
Tage? Dasselbe, wie das Leben ohne Liebes-
glanz. Ein Schmarren.

Den Präsidenten durchzuckte ein genialer
Funken. „Wie?" sagte er sich, „wenn ich die
miesepetrige Stimmung durch Inszenierung
eines Freudenfestes hebe? Wenn ich prokla-
miere, daß Pfingsten- Weihnachten und der
Jahrestag von unserem Einzug in Neu-
lehmannsland auf einmal zu feiern sind?"
And er gab kund, daß in zwei Tagen der große
Gedenktag mit großem Pomp steigen werde.
Von der Annahme ausgehend, daß heute
Montag sei, wurde das Fest für Mittwoch
nacht anberaumt, und alle waren jubelnden
Zwerchfells einverstanden. Sie ahnten nicht,
daß Lehmanns Trick keinen anderen Effekt
erhaschte als: die Aufmerksamkeit von den im
Linterhalt liegenden Wilden abzulenken und
auf Fröhlichkeit zu konzentrieren.

Pauke, Pfeifen, Trommeln und Blas-
instrumente wurden mit Affenfett geschmiert,
Girlanden gewunden, Branntwein gebraut
und Ludenpulvers Büste gescheuert.

Richard rückte der gichtbrüchigen Taschen-
zwiebel, die manchmal den Einsall hatte, ihr
Zifferblatt leuchten zu lassen in der Finsternis,
zu Leibe und proklamierte zwölsmal am Tage,
wieviel es geschlagen habe. Beinah hätte man
aber ihn selbst geschlagen, da er mit gottes-
lästerlichem Eifer darauf bestand, daß es
am bevorstehenden Iubiläumstage Schweins-

knochen mit Sauerkraut gäbe, — ein absolut
unerfüllbares Gerücht mit i. Annas Knäblein
lag um diese Zeit mit Masern darnieder und
hatte demgemäß hohe Temperatur, was bei
Neulehmannslands Klima kaum ausfiel. Mit
Chinarinde und Äienfong, dazu ein Glöck-
nersches Zugpflaster auf dem Po, bekämpfte
man die Krankheit des kleinwinzigen Pfoten-
hauer. Am Adelhaids Tochter ward ein
desinfizierender Wall aufgerichtet: Tarzanella
(wie Max sie tituliert hatte) sollte verschont
bleiben von jeglicher Maserung. Weder
Annas Söhnchen, noch Adelhaids Tarzanella
waren der Segnungen einer christlichen Taufe
teilhaft geworden, und Wilhelm Robespierre
Lehmann, der Admiral, hatte angedeutet, daß
auch der Doppel-Tauf-Aktus dem Jubiläum
einbezirkt werden werde. Walter, wie früher
so oft, war dagegen und suchte, soweit seine

zermanschte Energie es zuließ, das Fest zu
Hintertreiben, indem er kühnlich behauptete,
das Datum sei verkehrt gewählt, denn
morgen sei der 14. April, eine schamlos aus
der Luft gegriffene Willkür, die bescheidenen
Aufruhr entfesselte und unter Lintanwendung
diplomatischer Kniffe des Admirals aus der
Welt geschafft wurde. Adelhaids Kindchen
versöhnte, geschickt dirigiert, den Widerspanst
von Vater und die gegnerische Partei.

Annas Knäblein jedoch genas. Es genas
der Masern, gewissermaßen. Weniger ge-
schwollen ausgedrückt: es gesundete.

Die Masern waren vermutlich nur ver-
meintliche Masern gewesen, — wie ja die
Mütter überhaupt geneigt sind, aus einem
Flohzirkus eine Elefantenherde zu machen.

Das Blockhaus, verhältnismäßig blank ge-
schrubbt unv innen wie außen mit Palmen-
wedeln geschmückt, vereinte die Neulehmänner
zu ersprießlichem Tun. Denn im Familien-
rat ward (0:0, voch durch des Admirals
Autorität!) beschlossen, sich seit langer, langer
Zeit endlich wieder einmal zu waschen. .

Das Waschen hatten sie nämlich vergessen,
platterdings vergessen.

Es war nicht vonnöten. Es gab keinen
Fabrikdreck und keinen Straßenstaub. Die
Sonne bräunte ohnehin. Der Teint, ob ge-
reinigt oder nicht, mutete „interessant" an.
Die Neigung zum Nichtwaschen sitzt tief im
Anterbedürsnis des Menschen.

Die Löhmänner hatten den Lang zur
Sauberkeit längst abgeftreift.

Teilweise sogar den Charakter. Denn sie
waren feine echten, geschweige echten Sachsen
mehr: sie waren vegetierende Normalmenschen
ohne jedwedes Merkmal geworden. Allmama
Sonne hatte hinweggeschmolzen, was an
Charaktermerkmalen hervorstach.

Nach hitzigem Debattieren obsiegte das
letzte Fetzchen Reinlichkeitssinn, und man
veranstaltete eine Lotterie.

Der Äauptgewinn war Befreiung vom
Waschenmüssen.

Die übrigen Lose enthielten die Reihen-
folge sowie besondere Erleichterungen und
Verschärfungen der Prozedur.

Wilhelm Robespierre zog den Treffer: er
durste dreckig bleiben, wie er war. Aber
hier offenbarte sich seine Größe in imposanter
Wucht: er schritt, ohne mit der leisesten
Wimper zu zucken, an den Strand, streifte
die Badehose ab und erneuerte die alte Duz-
brüderschaft mit dem durch kaiserliche Poesie
weiteren Kreisen bekannt gewordenen Aegir.

Richard Pfotenhauer stürzte sich keuchend
und maulend hinterdrein, und bald plätscherten,
die offizielle Reihenfolge mißachtend, die
Lehmänner und Lehweiber im Ozean.

Dann rannten die Männer zum Doppel-
kopp, den sie in jüngster Zeit vernachlässigt
hatten; die Frauenzimmer hingegen rannten
zum Grabhügel Großmuttis, um ein Viertel-
dutzend hastiger Tränen zu deponieren.

Franz filtrierte derweilen der kleinen Tar-
zanella Kokosmilch und Mandelkleie ein.

Ouu, die von den meisten in der „Auf-

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