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https://doi.org/10.11588/diglit.8803#0618
Ich bin so roie die meisten heute sind,
Kann nicht die Hände salten Wie ein Kind,
Und wenn der psarrer von der Kanzel
spricht.
Vas Herz erfüllt von Andacht, lausch' ich
nicht.
Mein Tun und Treiben ist von dieser Welt:
Uns Hatz und Liebe bin ich eingestellt.
Die Stabt liegt eingehüllt im Winterschnee.
Oer Reichtum aalt sich aus dem Kanapee,
Oie Armut weint ihr Lied von irgendwo.
Oer weise denkt: Es war schon immer so.
Mit Lachen schneeballt sich ein Kinder-
schwarm,
Dort schleppt noch einer seinen Weih-
nachtsbaum.
Ein blasser Mann in grau mit einem Arm
Dreht eineGrgel, doch manhörteskaum..
Ich las die heilige Schrift, weiß nicht
warum,
Sie war bisher mir immer einerlei,
Ich kam ans Lukas-Evangelium,
vie Weihnachtsbotschaft im Kapitelzwei...
Bin sonst ein Mensch mit abgeklärtem Blut,
voch jäh und plötzlich ward mir heitz zumut.
„Friede aus Erden", klang es an mein
Ghr,
„Friede auf Erden", sang der Engel Thor,
„Friede aus Erden", klopstesan dieStirn,
„Friede auf Erden", wühlt es im Gehirn.
Es war wie eine langvergessene Scham
Und eineSchande aus vergangenen Tagen:
wir Menschen haben, als Karfreitag kam,
Den Mann des Friedens an das Kreuz
geschlagen. . .
Und standen wieder in dem gleichen Joch:
Aus hunderttausend Schützengräben kroch
vier böse, sündenschwere Jahre lang
Oer alteMord, dervolkinvolkverschlang.
Kreuz stand bei Kreuz, ein angemaßter
hohn
Auf ihn, den Heiland, ihn, den Menschen-
sohn.
Es war kein Friedenssang der Weih-
nacht da
In unserm grenzenlosen Golgatha.
Und doch: der Wille wurde stark zugleich
wie einer Sukunft heiliges Frohlocken.
„Friede aufErden", klang's vom Himmel-
reich,
Und von den Türmen tönten Weihnachts-
glocken.
Henning vuderstadt
Der Gimpel
Die Dame mit dem prachtvollen Reihcr-
federhut hat dasAnfgeschau in dcrElektrifchen.
Die scharfen Äutnadelfederspitzen schau-
keln. Der Lerr rechts neben dem Reiherhut
ist darauf bedacht, seine knollige Nase vor
den Äutnadeln zu schützen. Links sitzt kerzen-
gerade ein linienschmales, aschblondes
Fräulein.
Bei der nächsten Kurve hat das Lineal
die Äutnadelspitzcn im Gesicht. Drinnen
tränen die wasserblauen Augen.
Der Reiberhut macht nun eine blitzschnelle
Bewegung nach rechts. Der ,§>err dort hat
einen Stich in der Nase.
„Da hört si scho alls auf! Sb? Mit
ehnaner gottverssuachta Äimmisakerments-
hutnadelspitz! Iessas, mei Nase!" brüllt der
mit der Knollnase.
Es gibtMenschen, dieschauen aus, wie ein
zweimeterlanger, abgesägter, mannsdicker
Baumstamm. So einMensch sitzt gradnüber
vom Reiherhut. Der Baumstamm lacht:
„Den sckaugts an! A Nasn soll dös sei?
Dös is scho a zünftiga Gimpl! Aber schön
steht ehana der Gimpl!" Erbost schreit der
Gimpel: „Die sticht am die Augen aus mit
ihan Dach! Runta mit dem Spitzendeckel!"
Und der Gimpel langt nach dem Reiher-
federhut. Da ist aber der Baumstamm
obenauf und deckt den Gimpel also zu:
„No, no sanns do gemütli! A so a feina,
Herr! Und de Nasn? Scharms, solche Nasn
Ham die Edlmänna, die ganz vornehmen. So
was stammt ab vo dä Adlsritta. Alsdann,
sanns do rittali gen dös nettä Fräulein
durten. .."
Das nette Fräulein mit dem Reiher-
federhut nickt dem Gimpel freundlich lächelnd
zu. Der Gimpel ist Feuer und Flamme.
„Der geht auf den Leim!" zischt das
Linealfräulein. Da fährt der Gimpel hoch:
610
„So krachdürrcs Gstell, könnens ehna net no
a bissl ziern? Bals no net sirti sann, mit
ehna eahm Augnauswischn, nachhe putz i
ehna Gloha aus!"
Das Schrilleir der Elektrischen wacht den
Streitgar. Mit einem RuckstehtdcrWagcn.
Der Reihersederhut schwingt sich am
Ginrpel vorüber. Unterm wundervollen £ut
kvinrnt ein liebevoller, einladender Feuerblick
hin znm Gimpel.
Der hopst nun gelenkig aus dem Wagen
und steigt dem Reihersederhut nach.
„iöab is net gsagt? Da steigt er schon hin-
terdrein. Der wird gleimt!" spöttelt das Lmeal
und kriegt dafür vom Baumstamm einen
drohenden Augenaufschlag hingeschmissen.
L. P.
Likör st üben
„Also Schieber, Spekulanten und der-
gleichen Leute waren in der Likörstube?"
„Ja, die Getränke waren gemixt, die
Gesellschaft gemischt."
Kann nicht die Hände salten Wie ein Kind,
Und wenn der psarrer von der Kanzel
spricht.
Vas Herz erfüllt von Andacht, lausch' ich
nicht.
Mein Tun und Treiben ist von dieser Welt:
Uns Hatz und Liebe bin ich eingestellt.
Die Stabt liegt eingehüllt im Winterschnee.
Oer Reichtum aalt sich aus dem Kanapee,
Oie Armut weint ihr Lied von irgendwo.
Oer weise denkt: Es war schon immer so.
Mit Lachen schneeballt sich ein Kinder-
schwarm,
Dort schleppt noch einer seinen Weih-
nachtsbaum.
Ein blasser Mann in grau mit einem Arm
Dreht eineGrgel, doch manhörteskaum..
Ich las die heilige Schrift, weiß nicht
warum,
Sie war bisher mir immer einerlei,
Ich kam ans Lukas-Evangelium,
vie Weihnachtsbotschaft im Kapitelzwei...
Bin sonst ein Mensch mit abgeklärtem Blut,
voch jäh und plötzlich ward mir heitz zumut.
„Friede aus Erden", klang es an mein
Ghr,
„Friede auf Erden", sang der Engel Thor,
„Friede aus Erden", klopstesan dieStirn,
„Friede auf Erden", wühlt es im Gehirn.
Es war wie eine langvergessene Scham
Und eineSchande aus vergangenen Tagen:
wir Menschen haben, als Karfreitag kam,
Den Mann des Friedens an das Kreuz
geschlagen. . .
Und standen wieder in dem gleichen Joch:
Aus hunderttausend Schützengräben kroch
vier böse, sündenschwere Jahre lang
Oer alteMord, dervolkinvolkverschlang.
Kreuz stand bei Kreuz, ein angemaßter
hohn
Auf ihn, den Heiland, ihn, den Menschen-
sohn.
Es war kein Friedenssang der Weih-
nacht da
In unserm grenzenlosen Golgatha.
Und doch: der Wille wurde stark zugleich
wie einer Sukunft heiliges Frohlocken.
„Friede aufErden", klang's vom Himmel-
reich,
Und von den Türmen tönten Weihnachts-
glocken.
Henning vuderstadt
Der Gimpel
Die Dame mit dem prachtvollen Reihcr-
federhut hat dasAnfgeschau in dcrElektrifchen.
Die scharfen Äutnadelfederspitzen schau-
keln. Der Lerr rechts neben dem Reiherhut
ist darauf bedacht, seine knollige Nase vor
den Äutnadeln zu schützen. Links sitzt kerzen-
gerade ein linienschmales, aschblondes
Fräulein.
Bei der nächsten Kurve hat das Lineal
die Äutnadelspitzcn im Gesicht. Drinnen
tränen die wasserblauen Augen.
Der Reiberhut macht nun eine blitzschnelle
Bewegung nach rechts. Der ,§>err dort hat
einen Stich in der Nase.
„Da hört si scho alls auf! Sb? Mit
ehnaner gottverssuachta Äimmisakerments-
hutnadelspitz! Iessas, mei Nase!" brüllt der
mit der Knollnase.
Es gibtMenschen, dieschauen aus, wie ein
zweimeterlanger, abgesägter, mannsdicker
Baumstamm. So einMensch sitzt gradnüber
vom Reiherhut. Der Baumstamm lacht:
„Den sckaugts an! A Nasn soll dös sei?
Dös is scho a zünftiga Gimpl! Aber schön
steht ehana der Gimpl!" Erbost schreit der
Gimpel: „Die sticht am die Augen aus mit
ihan Dach! Runta mit dem Spitzendeckel!"
Und der Gimpel langt nach dem Reiher-
federhut. Da ist aber der Baumstamm
obenauf und deckt den Gimpel also zu:
„No, no sanns do gemütli! A so a feina,
Herr! Und de Nasn? Scharms, solche Nasn
Ham die Edlmänna, die ganz vornehmen. So
was stammt ab vo dä Adlsritta. Alsdann,
sanns do rittali gen dös nettä Fräulein
durten. .."
Das nette Fräulein mit dem Reiher-
federhut nickt dem Gimpel freundlich lächelnd
zu. Der Gimpel ist Feuer und Flamme.
„Der geht auf den Leim!" zischt das
Linealfräulein. Da fährt der Gimpel hoch:
610
„So krachdürrcs Gstell, könnens ehna net no
a bissl ziern? Bals no net sirti sann, mit
ehna eahm Augnauswischn, nachhe putz i
ehna Gloha aus!"
Das Schrilleir der Elektrischen wacht den
Streitgar. Mit einem RuckstehtdcrWagcn.
Der Reihersederhut schwingt sich am
Ginrpel vorüber. Unterm wundervollen £ut
kvinrnt ein liebevoller, einladender Feuerblick
hin znm Gimpel.
Der hopst nun gelenkig aus dem Wagen
und steigt dem Reihersederhut nach.
„iöab is net gsagt? Da steigt er schon hin-
terdrein. Der wird gleimt!" spöttelt das Lmeal
und kriegt dafür vom Baumstamm einen
drohenden Augenaufschlag hingeschmissen.
L. P.
Likör st üben
„Also Schieber, Spekulanten und der-
gleichen Leute waren in der Likörstube?"
„Ja, die Getränke waren gemixt, die
Gesellschaft gemischt."