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Lachen links: das republikanische Witzblatt — 1.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.8803#0624
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UNTERHALTUNGSBEILAGE DER WOCHENSCHRIFT,.LACHEN LINKS“

Hans Reimann: Keu-Lehmannslanö

13. Fortsetzung.

In der Stockdusterkeit war schlecht streifen.
Bob verhedderte sich in Lianen und stürzte
mit einem herze> quickenden „Goddam!" in
eine Gruppe stachelbewehrter Kakteen, die
zwar nicht zu den fleischfrestenden Pflanzen
gehören, aber der menschlichen Laut feindlich
gesonnen sind.

Das Klügste dünkte Lerrn Multa, den
Morgen abzuwarten und das Gelände vor-
sichtig zu sondieren. War Quu wirklich auf
der Feuerspei-Jnsel, so mochte ein Raub zu
empfehlen sein.

Bob fühlte sich sämtlichen Situationen ge-
wachsen. Daß er den Sachsen nicht gewachsen
sein werde, entzog sich seinem Ahnungsver-
mögen.

Der Phantasie sind Grenzen gesteckt.

Der Sonne nicht. Sie glischte herauf und
vergoldete Limmel, Wasser und Land mit
strahlender Laune.

Bob, der trotz der nächtlichen Kühle ein-
gedusselt war, straffte seine 47 Muskeln und
lenkte den Männerfuß zur Behausung der
Lehmänner, von deren Existenz er dumpfe
Vermutungen vermutete.

Was er erblickte, war nicht überwältigend:
ein mit Gartenbeeten umsäumtes Blockhaus,
einen freien Platz mitFahnenstange und Gips-
büste, im Hintergründe eine Lütte, halloh:
noch eine, und — halloh! — eine dritte, die
primitiv aus Lehm zusammengepappt war.

Nichts zu hören.

Bob Multa hatte Zeit. Die Lände in den
Taschen seines ewigen, aus Bastseide ge-
fertigten Anzugs, schleuderte er um die Lütten
herum und lauschte auf dieAeußerungen mensch-
licher Gegenwart.

Tarzanella schrie plötzlich nach Adelheid.
Erst zaghaft, dann mit Vehemenz.

Bob lächelte. Kleine Kinder garantieren
pazifistische Zustände.

Da öffnete sich die Tür des Blockhauses,
und heraus trat Wilhelmine, sehr notdürftig
bekleivet.

Bob rührte sich nicht.

Wilhelmine kratzte sich in den Laaren,
sagte gähnend „Aaah!" und watschelte zun,
Brunnen. Dort angelangt, schöpfte sie Wasser
in einen Eimer, ergriff den Eimer und wat-
schelte zum Blockhaus zurück.

Jetzt erst wurde sie des fremden Mannes
gewahr, ließ den Eimer zu Boden fallen und
stob in irrsinnigen Sprüngen ins Innere des
Laufes.

Bob lächelte ein gefrorenes Lächeln. Er
war gefaßt. Das Rückgrat steifte sich bolz-
gerade. Wer mochte wohl dem Blockhaus
entspringen?

Dem Blockhaus entsprang gar nichts. Son-
dern: Wilhelm Robespierre, dessen Neugier
stärker war als Wilhelmines Talent, einen
soeben erlebten Vorgang anschaulich und
klipplings zu schildern — der Präsident wuch-
tete aus der Tür, sah den Eindringling stehen
und lächeln, räusperte sich, verscheuchte die
Angst vor der eigenen Courage und schritt
beherzt auf Bob Multa zu.

„Was frschaffd uns die Ehre?" fragte er
mit einem Gemisch von Liebenswürdigkeit
und majestätischer Aeberlegenheit.

„Guten Morgen," sprach Bob Multa, „wie
geht es Ihnen?"

„Dangke der giedijn Nahchfrahche, ahwr
darf ich Sie nich biddn, mir zu saachn, was
Sie hier zu suhchn Ham?"

Im Türrahmen erschienen die Gesichter
Richards und Wilhelminens.

Bobs Laune steigerte sich zu Entzücktheit.
Die weißen Wilden waren ihm sympathisch.

„Ich suche meine Braut!" erwiderte er
höflich. „Gestalten Sie —: Bob Multa!"

„Sehr erfreut. Mein Name ist Wilhelm
Robespierre Lehmann. Darf ich Sie zu einem
bescheidenen Morrjn-Imbiß einlahdn?"

„Wird akzeptiert. Doch zuvor verraten Sie
mir bitte, welcher Wind Sie und Ihre Fa-
milie hierher geweht hat, auf dieses Eiland."

„Welcher Wind? Tja, das gann ich Ihn
ooch nich saachn, wahrscheinlich der Fön.
Mir sind Saxn und schdamm aus Wurzen
an dr Würze, wenn Se davon mal geheerd
Hamm solldn."

„Von Wurzen — nein. Von Sachsen —
ja. Das ist doch das niedliche Land, wo die
Bevölkerung ihren Dreck alleene macht?"

„Lahaha — jawohl, da Hamm se rächd.
Ahwr dähr Drägg iß in dr Majjorridähd!"

„And da sind Sie auf den diabolischen Ein-
sall geraten, Ihr Sachsenland in die Südsee
zu verpflanzen? Das finde ich köstlich!"

«2 jah, wir sinn so frei. Ahwr, unndr uns
gesaachd: mir Hamms dicke, mir sehn uns
zurick nach unsrer alldn Gullduhr. Das iss
nischd fr uns hier, die Gullduhrlohsjgeid. Mr
mechde doch auch mal wiedr in ein Gihno
gehn unn enn hibschn Film anguhkn, newwah?
Ohrd mal ä scheenes Simphoniegonnzärrd
anheern, die Dannhaisr-Awwrdiere ohdr dn

Feirzauwr. Es gehd doch nischd iwwr Richard
Waachnr. Labbj rächd ohdr nich? Sähn Se,
das frmiffn mir ähm hier. Gonnzärrd inachn
hier bloß de Affn unn de Babbageis."

Wilhelmine und Richard näherten sich.

„Darf ich Ihnen meine Schwäßdr fohr-
schdälln? Wilhelmine! — And das hier, das
iß mei Schwaachr, also Wilhelminen ihr
Gaddrich, newwah? Die andern währn Se
schon so bee-3-bee gänn lärn. Äaßdes Frieh-
schdigg färrdj? Dn Gaggau? Bringn raus,
mr dringgn in Frein!"

And der Präsident dirigierte Lerrn Multa
zu dem (der „Lehmanma" entführten) Früh-
stücks-Winkel und lud ihn ein, aus einem
Locker Platz zu nehmen.

Wilhelmine fegte ins Laus. Richard trabte
nach der nächsten Lütte, um die Sensation
brühwarm zu übermitteln.

Eine Stunde später saßen Bob und die
Lehmänner um den Tisch und verstrickten sich
in animierte Gespräche.

Max und Quu fehlten. Lehmann schimpfte
Bob spitzte die Ohren.

Auf die Frage, wo er herkäme und auf
welche Weise er herkäme, erteilte er aus-
weichende Antworten voller Schelmerei.

Nach beendetem Morgentrunk bat er,Block-
haus und Lütten besichtigen zu dürfen.

DieFrauen entwischten, um rasch ein bißchen
aufzuräumen. Die von den Männern ge-
pflogene Anterhaltung stockte. Bob ließ durch-
backen. daß er nickt abgeneigt sei, sich den
Lehmännern beizugesellen.

Lehmann kündete mit lapidarer Geste: „Das
ist unsere Insel!"

Bob versicherte, ein wackerer Kamerad zu
sein, der mit Kannibalen, von denen es ja
ringsuni wimmele,bestens umzuspringen wisse.

Das verfing nicht. Lehmann blieb dabei,
daß Neulehmannsland den Lehmännern ge-
höre und daß fremdstämmige Elemente nicht
geduldet würden.

Bob warf ein, daß man nichts gegen ihn
unternehmen könne, wenn er sich daraus ka-
priziere, auf der Insel zu bleiben.

Einer, der woher kommt, — meinte Leh-
mann — kann auch wieder wohin.

Aus welchem Wege man denn von Neu-
lehmannsland sich entfernen könne?

Nun, er sei ja hergekommen. Folglich werde
er auch dorthin zurückgelangen, von wannen
er gekommen sei.

Bob replizierte: „Welche Mittel, welche
Maßregeln, welche Gewalt wollen Sie an-
wenden, um mich von Ihrer Insel zu ent-
fernen?"

Lehmann, nach einigem Grübeln: „Indem
mir Sie einfach injoriern!"

„Injoriern" ist der sächsische Ausdruck für
„ignorieren".

Max trat hinzu, begrüßte Lerrn Multa
und schloß sich dem inspizierenden Gentleman
an. Beide betraten als erste das Blockhaus.

Die übrigen tuschelten miteinander und kon-
ftantierten einhellig, daß der fremde Kerl
mit seinem unangenehmen Feixen mit aus-
gesuchter Vorsicht zu behandeln sei. Ihn auf

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