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Die Preisfrage

Schön warm beisammen hocken sie im Wirtshaus und er-
zählen von den erschrecklich kalten Wintermonaten. Von früher.

„Solchene kalte Winter gibt'S iatzt nimmer , . ,", sagt der
Schpatz.

„Paßt af, ich waß von an »verschämt kalten Winter . . .
der Jahrgang . . . na, dös iS ja wurscht . . . also, da hat
es Wild im Wald dafriern muffen ... alle Tag iS a Fuchs
an Hoderleinbäckei sein Backofen kumma . . . alli Tag . . .
da hat er sich g'wärmt, der Fuchs . . ."

Noch einen Zug tut der alte Köhler an seinem Kloben und
sagt: „WaS iS? An kalten Winter? ... so ... mi
friert . . . bald i dran denk . . . a Ständer!« ham mer
g'sungen . . . ang'froren san mer am Pflaster . . . nachdem
Ham mer zu viert in aner Heukiften singen müssen ... die
Weiber san direkt auf'm Grüna Markt hing'froren. . . ."

„Dös iö alles no gar nix! . . . i ko da was vazählen, dös
iS so dramatisch, wie a Kino . . . nu ärger . . . nu ärger . .."

sagt der Schwindelei» und fährt fort, „also, früher
war's so . . . glei nach der Geburt bist getauft worn . . . i
bi nämli a Zwilling . . . wie dös Weib unö in die Kirchen
tragen hat, uns zwa Buben, war scho a Hundskälten . . .
IeffaS, Ieffaö . . . wie ma laufen will, iS aner vo die
Zwilling dafroren g'wefen . . . i hab'S vorher g'wußt, wie's
geht, denn die Zähne Ham uns klappert vor Kälten ... so, so,
da hast äs Unglück . . . aner vo die Buben erfroren . . .
aber der welche?"

Meint de» Krämer pfiffig: „Die Frage hätte glei an Ort
und Stelle gelöst wärn müffen . . ."

„Hörst doch, die Buben ham ja no kan Vornamen g'habt
... da kannst doch net sagen, der HanS iS dafroren oder der
Schorsch iS dafroren", stellt der Herr Oberftudiensekretär fest.

Mit einem unmenschlich schwermütigen Seufzer setzt der
überlebende Zwilling den Schluß hin: „Wer vo die zwa Täuf-
ling dafroren is, dös iS und bleibt a Preisfrage." Pipm.

Kleinstadt

Schlangenbein liebt Adele.

Ewig.

Mit reinem Herzen.

Mit hocherhobenen Händen.

Eines Tages aber läßt Schlangenbein
doch die Hände sinken und denkt an
Irdisches.

„Haft du schon einmal geküßt, Adele?"
„Schon."

„Du hast bereits einen Mann geküßt?"
stottert Schlangenbein betroffen.
„Mehrere."

Da erfaßt Schlangenbein blinde Wut:
„Mehrere? Wieviele?"

„So acht bis achtzehn", gesteht das
Mädchen.

„Schämst du dich nicht!? Und weißt du
nicht, um mit Goethe zu reden: wenn dich
erst ein Dutzend hat, hat dich bald die ganze
Stadt?"

Da grault das Mädchen Schlangenbein
unterm Kinn und guckt ihm treuinnig
zwischen die Augen.

„Reg' dich nicht unnötig auf, Schlangen-
bein! Wie groß ist schon unsere Stadt?"
 
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