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Jem/t l5oferid)tet: tohen-

aver Pfaffinger, der auch im Winter eine blühende Wiese von
Sommersprossen im Gesicht hatte, war pensionsberechtigter
Kulissenschieber an der Hofbühne.

Und da er früher nacheinander Aufseher im Zoologischen Garten
und Portier am Schlachthof war und so im Umgang mit Tieren eine
beträchtliche Übung hatte, ward ihm jetzt auf der Bühne alles Vieh,
das in den grossen Opern auftreten mußte, von der Intendanz an-
vcrtraut. So zog Taver Pfaffinger in der Zauberflöte die
Schlange aus der zweiten Kulissengasse hervor, ließ die freischützliche
Wildsau über die Szene hopsen und den tranigen Drachen Feuer
speien. Am liebsten aber schob er im Lohengrin den Schwan von
fernen Landen nach Brabant herüber, ließ er die grafische Taube
vom Soffittcnhimmel herabhängen — denn das Geflügel war seinem
Herzen am nächsten. So kam es, daß er durch diese Vögel Oper
und Held „Lohengrin" an Sinn und Wert
über alles andere schätzte und geradezu in sie
verliebt war.

Und wie sich zuweilen Hausfrauen nach
dem Waschhaus sehnen, so sehnte sich der Ku-
lissenschieber Pfaffinger nach den Worten,

Tönen und Taten dieses edlen Ritters mit
Schwan und Taube. Wenn es kam, daß
die Oper einmal auf längere Zeit im Spiel-
plan fehlte, dann ging er sehnsüchtig am
Viktualienmarkt zwischen den Geflügelständen
hin und her, wo die weißgefiederten Gänse
ihm als verkleinerte Schwäne und vergrößerte
Gralstauben erschienen. Und während es um
ihn her nach Kunstschmalz, Papageifutter und
Gänsefett roch, sang er wehmütig leise vor
sich hin: „Mein lieber Schwan — Ach, diese
letzte, traur'ge Fahrt, wie gern hält' ich sie
dir erspart!"

Und wie eS Menschen gibt, die über alles

gern Trambahnschaffner, Stierkämpfer, Obersekretär, Feuerfressec
oder Reichspräsident werden möchten, so war für Taver Pfaffinger der
Held Lohengrin zum Ideal geworden. So träumte er sich manchmal
in diese Rolle hinein, daß er — auf der Plattform der Elektrischen
stehend — glaubte: er werde nun von einem Schwan in die Arme
der Elsa von Brabant gezogen . . . während er doch nur im Zchn-
pfennigtarif die schlüpfrigen Kurven der Müllerftraße ausfuhr — !

Nachts flogen Schwäne und weiße Tauben durch seine Träume
und ließen sich auf seinem Bettraud nieder. . . . llnd er streichelte sie,
drückte liebkosend ihre Hälse an seine Wange, bis er am Morgen
erwachte — und den Zipfel des Kopfkissens in seinem Mund stecken
hatte. . . . Und wo Wünsche und Träume sind, da gibt es im tiefsten
Keller der Seele auch schon Gänge, die zur Verwirklichung führen.
Und so lange flog der Schwanenvogel in seinem Hirnkasten herum,
bis es ihm eines schönes Tages von einer
Idee schwante, die von Verheißung schwanger
war.

In den Auslagfenftern und Spalten der
Zeitungen machte sich um diese Zeit allmäh-
lich der Fasching bemerkbar. Da sah man
knallfarbigc Kostüme aller Nationen und
Stände zur Schau gestellt. Beim MaSken-
verleiher wurde der Mann aus dem Volke
gegen eine Leihgebühr hinter dem Ofenschirm
in wenigen Augenblicken zum feurigen Spa-
nier, Zar und Zimmermann, Eskimo und
Vorstadtindianer angeschirrt. Artikel feuer-
werkten über Maskenfreiheit, Koftümbälle
und Faschingstreiben. . . . Und die Luft
wirbelte schon ahnungsvoll von Konfettiftaub
und Luftschlangen, die als Vorstellung auch
in Pfaffingers Heldenkopf herumflogcn und
dort zusammen mit Flügelschlagen des
Schwans den Einfall aufwehten, der ihm

Zeichnungen von Willi Sieineet

Zu beziehen du rc h jede Volksbuchhandlung oder direkt vom

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