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Die Familie als Grundlage des Staates

Lemmel hat eine Frau und vier Kinder. Das Jüngste liegt
noch an der Milchflasche, daö älteste ist knapp seine sechs
Jahre alt. Kinder machen viel Radau, wenn der Tag lang
ist, es setzt Kopfnüsse in Massen ab und der Rauferei und des
Geschreies ist kein Ende. Dafür sind es eben Kinder. Aber
diese vier waren Lemmels Kinder und das bedeutete Lärm wie
von einem frequentierten Kindergarten. Außerdem wohnt noch
LemmelS Schwager bei ihm und ein Schlafbursche. Lemmelö
Schwiegermutter ging vor etwa einem dreiviertel Jahr an
unverdünnter Salzsäure ein. Die Salzsäure war auf unge-
klärte Weise in die Schwiegermutter gekommen, indes, es
wächst schon GraS über ihrem Grab. Den Großvater hat
Lemmel jüngst die Stiege von ganz oben hinuntergeschmissen,
er war sowieso schon alt und wackelig. Lemmel ist ein Wüte-
rich. Seine Frau, Frau Lemmel, ist eine Heulboje, die jedoch
ihrem Beruf gemäß auch wilde Stürme überfteht. Die Kin-
der Lemmels male man sich selbst aus!

Es ist noch nicht lange her, da hat Lemmel den Schürhaken
auf seines Schwagers Rücken krumm gebogen. Sein Schwa-

ger hatte ihm kurz vorher euren Schrank auf den Rücken ge-
schmissen, weil Lemmel kurz vorher seiner Frau einen Putz-
eimer etwas heftig über den Kopf gestülpt hatte. So gibt es
jeden Tag etwas Neues und ganz ohne Lärm geht das auch
nicht ab, zumal der Lemmelsche Kindergarten redlich das Seine
beiträgt. Manchmal, wenn es gar zu arg ist, greift auch noch
die Nachbarschaft ein, dann wird es noch ärger. Gestern hat
die Lemmeln ihrem Mann versehentlich ein Ohrläppchen ab-
gebissen, das linke. Daraufhin hat Lemmel sich dumpf
brütend voll Alkohol laufen lassen, sämtliches Porzellan klein-
gehackt und einen gräßlichen Fluch auögeftoßen, er werde in
Bälde sein Weib vermittels einer Nudelrolle massieren. Frau
Lemmel har ihre Lockenscheere einstweilen parat gelegt.

Aber ich will hier keine „Buddenbrooks" schreiben, so inter-
essant die Familie Lemmel auch ist. Eine nette Familie! Ich
wollte nur das Eine sagen, und wenn daö raus ist, ist mir wieder
leichter, ich wollte sagen: „Die Familie ist die Grundlage
des Staates. Und so sieht er auch aus!

Arnold Reinstem.

Vom Leben getötet —!

Was hat man nur gegen unsere „Sitte“ —?!
Polizeiskandal? Doch nur’n „Roman“!

Im Land der Külze herrscht Ordnung — bitte! —
mit Protokoll und Salvarsan!

Wen sie erwischt, die fliegt ins Spittel,
begrüßt vom Mann im weißen Kittel,
äls Gast der „Villa Sonnenschein“.

Die „Sitte“ heiligt alle Mittel,
ihr Protokoll diktiert der Titel:

Vor mir ist jedes Mentsch — gemein!

Ihr sind die denunzierten Gretchen
— Man weiß Bescheid — als solche krank,
von vornherein als Lastermädchen
reif für die Spittel-Marterbank.

Was heißt hier fünfzehnjährige Göhre —
die Sitte schleppt sie zum Verhöre
und inquiriert im „Herrenton“ —
denn nach verdächtigem „Verkehre“
blüht deutschen Frau’n zwecks deutscher Ehre
die Wassermann'sche Reaktion!

Sie starb an Salvarsan. Na, bitte,
ist das ein Grund für so’n Skandal?,
schreit prompt die attackierte Sitte,
so sorgt man eben für — Moral!

Bei uns herrscht Ordnung in Systemen,
wir wälzen uns nicht mit Problemen,
die Sitte kennt die Vorschrift nur!

Geht wer da drauf — nicht wichtig nehmen!
Ihr ist der Mensch — nicht nur in Bremen —
nur: kontrollierte Kreatur! Josef Maria Frank.

„No, wie is die Stimmung in diesem Jahr?"
 
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