Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Eine

gute alte Firma

In den Speisewagen
Prag-Wien strömt eine
Schar junger schlanker
Mädchen. Und hinter
ihnen eine elegante Dame
im grauen Pelz.

„Die Pawlowa, die
große russische Tänzerin",
flüstert stolz der Steward
zu den Tischen.

Alles fühlt sich geehrt.
Setzt sich gerade. Schmeißt
den Zahnstocher unter den
Tisch. Rückt den Schlips
zurecht.

„Die Pawlowa - ah
— die Pawlowa!"

Ein Textilprovisionist
aus Leipzig neben mir
macht Stielaugen.

„Wer ist denn nun
eigentlich unter den Mäd-
chen die Pawlowa?"

„Die Dame im grauen
Pelz."

„Die da?" zeigt er.

„Ja."

Er ist sichtlich ent-
täuscht. Jedenfalls nimmt
er sofort wieder seinen
Zahnstocher aus.

„In Chemnitz waren
alle Karten bei ihr aus-
verkauft", belehrt er mich
über sein Globetrottertum.

„So."

„Nu, allzu jung ist die
auch nicht mehr."

Ahmed Zog», der albanische Judas

Zeichnung von Herbert Anger

Jeder Judas hatte bisher immer noch ein gewisses Sauberreirs-
empfinden. Dieser nimmt das schmutzigste Geld von der Welt,
nämlich das Mussolinis!

„Mag sein."

„Ich möchte bloß wissen,
warum die Leute so zu der
hinrennen. Tanzen tun
doch so viele. Meine
Schwester auch. Und jung
ist sie nicht, hübsch ist sie
nicht."

Ich gebe ihm keine
Antwort. Aber er läßt
nicht locker.

„Eö iö eben wie überall.
Nur die Reklame machtS.
Und dann, sie ist eben doch
eine gute a l t e F i r m a,
die Pawlowa. Besteht
mindestens schon fünfzig
Jahre."

Und damit ist er wieder
bei seinem geliebten Bar-
chent. Z. H.R.

Dresden

Echa hat eine Reise
gemacht.

Nach Dresden.

„Haben Sie sich auch
das Belvedere angesehen,
die Terrasse Europas?"

„Wundervoll", sagte
Echa und dachte an die
dort etablierte Bar.

„Und wie fanden Sie
den Apollo vom Belve-
dere?"

„Ich weiß nicht. Er
kam an meinen Tisch, aber
in Wien haben wir doch
bessere Eintänzer."

3- H> R.

Erich Weinert: Wilhelm als Privatmann

Herr von Keudell, Herr von Kleist
Sind der festen Überzeugung,

Daß S. M. naeh Deutschland reist
Als ein ganz neutraler Geist,

Rein aus Liebe und aus Neigung.
Wilhelm frönt ja keinem Dünkel,
Solche Schnapsidee vertrat man,
Als dem stillen Glück im Winkel,
Als Privatmann.

Auch Hermine, wie bekannt,

Hat ja keinen Machtgelüstrausch,

Denn sie knüpft das alte Band
Nur mit Gott fürs Vaterland.

Kinder, seid doch nicht so mißtrau’sch!
Macht sie ihm das Bette warm,

Gott, was- geht denn das den Staat an!
Denn er ruht in ihrem Arm
Als Privatmann.

Wenn er durch die Linden pirscht
Mit den alten Kavalkaden,

Und als abgestammter Fürscht

Jeden Untertan zerknirscht

Mit dem Blick von Gottesgnaden,

Oder sich in Positur

Setzt als Nationalplakatmann, —

Dieses alles tut er nur

Als Privatmann.

Oder wenn er zum Appell
Schwarzer Reichswehrveteranen,
Mit den Herrn der O. H. L.

Sich dreivierteloffiziell
Sammelt unter Reichswehrfahnen,
Wilhelm hat nun seinen Stich,
Seht ihn nur als Kamerad an!

Denn er wirkt hier lediglich
Als Privatmann.

Oder übersiedelt er
Schließlich mal ins Haus der Väter
(Denn der Thron ist ja noch leer)
Nimmt er auch das Krönchen her.
Etwas früher oder später.

Schlägt er wieder ans Metall
Als der kriegerische Tatmann,

Er ist auch in diesem Fall
Nur Privatmann!
 
Annotationen