Adolf Walter: Tlrfa ch on
iFortsetzung von Seite ZI
sagte aus dieser Abwehrstimmung heraus: „Bemühen Sie sich nicht,
meine Herren, ich habe mir die Sache überlegt. Gehen Sie ein
Haus weiter!"
Das Erscheinen StanitzerS, der überlaunig drei der bekanntesten
Wiener Internisten anmeldete, verhinderte den überfälligen Wut-
ausbruch der Syndikatsmitglieder. Sie verließen grimmig blickerd
und Flüche murmelnd das Gemach.
Die drei Größen der Wiener medizinischen Schule brachten eine
kurzgefaßte Entschuldigung vor: Sie seien wohl ohne die Einwilli-
gung des Herrn Präsidenten gekommen - immerhin von Exzel-
lenz, dem Herrn Privatsekretär verständigt - müßten aber nun-
mehr auf eine Untersuchung dringen und erinnern, daß das Wohl-
befinden des Herrn Präsidenten nicht wie jenes von Krethi und
Plethi eine persönliche Angelegenheit , sondern in Hinsicht — "
Der Finanzier, kein Mann vieler Worte, öffnete Hose und
Weste.
Stanitzer stand daneben und maß mißtrauisch, beinahe verächt-
lich, von oben bis unten einen Hofrat nach dem anderen.
Man befühlte, drückte, verständigte sich zwischendurch in latei-
nischer Sprache, man kam zu dem Ergebnis, daß im Augenblick eine
Diagnose verfrüht wäre. Jedenfalls möge Patient sogleich zu Bett
gehen. Es erübrige noch, Geheimrat Professor Dr. Dielennagel aus
Frankfurt zu verständigen, er möge sich mittels Flugzeug augen-
blicklich hierher bemühen. Auf die Frage des Kranken, ob etwa gar
eine Blinddarmoperalion notwendig wäre, entgegneten die Herren
mit einigen unverbindlichen TrosteSworten.
Der Finanzmann knöpfte sich mit undurchsichtiger Miene die
Kleider wieder zu.
„Wer ist draußen?" fragte er Stanitzer in dem bekannten Ton,
der keine Widerrede duldete. Er schien im Augenblick wieder
schmerzfrei.
„Der Vorstand der Wiwi G. m. b. H.
Das Präsidium der Wie-
ner Wirtschaftsgenoffen-
schaft bürgerlicher Schneider-
meister setzte dem Allgewalti-
gen in bewegter Rede
auseinander, daß es infolge
einer verfehlten Spekulation
um zwei Dritteile des
Vereinsvermögens gekom-
men fei. Um den Rest zu
reiten, müßten von den
Mitgliedern Nachzahlungen
geleistet werden, was im
weiteren Verlaufe der An-
gelegenheit unfehlbar die
Zahlungsunfähigkeit von un-
gefähr fünftausend Schnei-
dern zur Folge haben würde.
Der Finanzmann, dessen
Gewerbefreundlichkeit bereits
sprichwörtlich geworden
war, schien zu überlegen.
Da fuhr er mit einem
Male blitzschnell, wie von
einer Natter gestochen, vom
Sitze empor.
„Mariandanna!" rief
ein biederer Schneider-
meister, „was hab'ns denn,
Herr von Präsident?"
„Nichts, nichts, ich werde
mir die Sache überlegen.
Sie werden schriftlich ver-
ständigt werden." Mit hän-
genden Köpfen schlich die
Abordnung hinweg. Bei der
geöffneten Tür entstand ein
Gedränge, ein Mann brach
sich ellenbogengewaltsam
Bahn, er schleuderte auch
den Generalsekretär beiseite,
der ihn am Arm gefaßt
hielt und zurückstoßen
wollte.
„Verzeihen Sie, Herr Präsident!" rief er von weitem schon,
„ich werde verfolgt. Ich bin ein Erfinder. Sie, verehrter Herr Prä-
sident, sind meine letzte Zuflucht. Diese vertrottelte Menschheit vec-
steht mich nicht. Ich habe Patente, Patente sag' ich Ihnen! Das
Christentum - ahnen Sie bereits? - muß industrialisiert werden!
Auf den jüngsten Messen waren bereits elektrische Glühbirnen mit
Leuchtkreuz ausgestellt. Ich bringe Hochfrequenzstrahlringe in ver-
schiedenen Durchmessern für effektvolle Heiligenscheine, Radium-
Leuchtpräparate in allerlei Farben für Wundergrotten, Blinklicht-
einbau für den bekannten Augeneffekt wundertuender Bilder, endlich
verläßliche elektrostatische Schwebekraftfelder für die Heiligengeist-
taube. Sie würden sich, Herr Präsident, den Ruf eines gutgläubigen
Menschen —"
„Hinaus!" schrie der ungekrönte Herrscher deö kleinen Landes,
während er sich im Sessel wand, „hinaus!"
Der Generalsekretär drängle den Mann mit der ganzen gesammel-
ten Würde seiner ministeriellen Vergangenheit zur Tür.
„Dürfte ich", sagte er dann, während er sich geräuschlos näherte,
„erinnern, daß die Subventionen für das Langenseer Kinderheim,
das sonst aufgelassen werden müßte, dann die jährliche Unterstützung
für den Studentenmittagstisch — "
Der Chef hörte gar nicht hin. Er starrte wie gebannt auf die
geöffnete Tapetentür. Stanitzer kam von dort, er hielt ein dampfen-
des Teeglas, gefüllt mit trübem dunklen Saft, mit priesterlicher Ge-
bärde dem Leidenden entgegen. Er hatte eine unendlich überlegene
Miene aufgesetzt.
„Hausmittel aus Kaschitz bei Saaz: Kümmelabsud", sagte er
triumphierend.
Der Chef zögerte, aber nur einen Augenblick, dann trank er den
Becher bis zur Neige.
Das Telephon klingelte. „Geheimrat Professor Doktor Dielen-
nagel läßt mitteilen, daß er soeben von Frankfurt abfliegt", meldete
der Generalsekretär.
„Ich glaube", sagte der Chef und sein Gesicht begann ungemein
zu strahlen, „meine Herren, ich glaube . . . lassen Sie mich rasch,
so rasch wie möglich . . .
bitte . . . allein."
Zeichnung von Alois Alorolh
„Sie sind also der Mei-
nung, bester Herr Sta-
nitzer", sagte im Barock-
vorsaal der Privatsekretär
und legte sein Diplomaten-
antlitz in historische Falten,
„Sie sind fest überzeugt
. . . nun ja, warum nicht
. . . hören Sie: wieviele
Menschenschicksale eigentlich
an, sagen wir, eine körper-
liche Laune des Chefs ge-
bunden sind, davon abbängen,
hm, ja sozusagen, wie es um
seine Verdauung bestellt
ist . . . eigentlich immer
dasselbe ... ich meine:
welchen Titel der oberste
Chef führt, tja . . . egal
dasselbe, verehrter Herr von
Stanitzer, gar kein Unter-
schied . . . Sie sind also,
wie gesagt, der Meinung,
daß es . . . wie nennt
man in diesem Fall, ohne
anzustoßen, das Ding beim
richtigen Namen . . . Darm-
gase also . . . Darmkolik,
nicht wahr? - Ja, hm,
seltsam, das ... es ist,
nicht das erste Mal, daß
ich ähnliches Verblüffendes
erlebe ... die Geschichte,
oder was wir halt groß-
sprecherisch so nennen, wie-
derholt sich doch immer
wieder! Aber es ist nicht viel
dahinter, manchmal fast gar
nichts . . ."
Die Mücke im Schlafzimmer.
iFortsetzung von Seite ZI
sagte aus dieser Abwehrstimmung heraus: „Bemühen Sie sich nicht,
meine Herren, ich habe mir die Sache überlegt. Gehen Sie ein
Haus weiter!"
Das Erscheinen StanitzerS, der überlaunig drei der bekanntesten
Wiener Internisten anmeldete, verhinderte den überfälligen Wut-
ausbruch der Syndikatsmitglieder. Sie verließen grimmig blickerd
und Flüche murmelnd das Gemach.
Die drei Größen der Wiener medizinischen Schule brachten eine
kurzgefaßte Entschuldigung vor: Sie seien wohl ohne die Einwilli-
gung des Herrn Präsidenten gekommen - immerhin von Exzel-
lenz, dem Herrn Privatsekretär verständigt - müßten aber nun-
mehr auf eine Untersuchung dringen und erinnern, daß das Wohl-
befinden des Herrn Präsidenten nicht wie jenes von Krethi und
Plethi eine persönliche Angelegenheit , sondern in Hinsicht — "
Der Finanzier, kein Mann vieler Worte, öffnete Hose und
Weste.
Stanitzer stand daneben und maß mißtrauisch, beinahe verächt-
lich, von oben bis unten einen Hofrat nach dem anderen.
Man befühlte, drückte, verständigte sich zwischendurch in latei-
nischer Sprache, man kam zu dem Ergebnis, daß im Augenblick eine
Diagnose verfrüht wäre. Jedenfalls möge Patient sogleich zu Bett
gehen. Es erübrige noch, Geheimrat Professor Dr. Dielennagel aus
Frankfurt zu verständigen, er möge sich mittels Flugzeug augen-
blicklich hierher bemühen. Auf die Frage des Kranken, ob etwa gar
eine Blinddarmoperalion notwendig wäre, entgegneten die Herren
mit einigen unverbindlichen TrosteSworten.
Der Finanzmann knöpfte sich mit undurchsichtiger Miene die
Kleider wieder zu.
„Wer ist draußen?" fragte er Stanitzer in dem bekannten Ton,
der keine Widerrede duldete. Er schien im Augenblick wieder
schmerzfrei.
„Der Vorstand der Wiwi G. m. b. H.
Das Präsidium der Wie-
ner Wirtschaftsgenoffen-
schaft bürgerlicher Schneider-
meister setzte dem Allgewalti-
gen in bewegter Rede
auseinander, daß es infolge
einer verfehlten Spekulation
um zwei Dritteile des
Vereinsvermögens gekom-
men fei. Um den Rest zu
reiten, müßten von den
Mitgliedern Nachzahlungen
geleistet werden, was im
weiteren Verlaufe der An-
gelegenheit unfehlbar die
Zahlungsunfähigkeit von un-
gefähr fünftausend Schnei-
dern zur Folge haben würde.
Der Finanzmann, dessen
Gewerbefreundlichkeit bereits
sprichwörtlich geworden
war, schien zu überlegen.
Da fuhr er mit einem
Male blitzschnell, wie von
einer Natter gestochen, vom
Sitze empor.
„Mariandanna!" rief
ein biederer Schneider-
meister, „was hab'ns denn,
Herr von Präsident?"
„Nichts, nichts, ich werde
mir die Sache überlegen.
Sie werden schriftlich ver-
ständigt werden." Mit hän-
genden Köpfen schlich die
Abordnung hinweg. Bei der
geöffneten Tür entstand ein
Gedränge, ein Mann brach
sich ellenbogengewaltsam
Bahn, er schleuderte auch
den Generalsekretär beiseite,
der ihn am Arm gefaßt
hielt und zurückstoßen
wollte.
„Verzeihen Sie, Herr Präsident!" rief er von weitem schon,
„ich werde verfolgt. Ich bin ein Erfinder. Sie, verehrter Herr Prä-
sident, sind meine letzte Zuflucht. Diese vertrottelte Menschheit vec-
steht mich nicht. Ich habe Patente, Patente sag' ich Ihnen! Das
Christentum - ahnen Sie bereits? - muß industrialisiert werden!
Auf den jüngsten Messen waren bereits elektrische Glühbirnen mit
Leuchtkreuz ausgestellt. Ich bringe Hochfrequenzstrahlringe in ver-
schiedenen Durchmessern für effektvolle Heiligenscheine, Radium-
Leuchtpräparate in allerlei Farben für Wundergrotten, Blinklicht-
einbau für den bekannten Augeneffekt wundertuender Bilder, endlich
verläßliche elektrostatische Schwebekraftfelder für die Heiligengeist-
taube. Sie würden sich, Herr Präsident, den Ruf eines gutgläubigen
Menschen —"
„Hinaus!" schrie der ungekrönte Herrscher deö kleinen Landes,
während er sich im Sessel wand, „hinaus!"
Der Generalsekretär drängle den Mann mit der ganzen gesammel-
ten Würde seiner ministeriellen Vergangenheit zur Tür.
„Dürfte ich", sagte er dann, während er sich geräuschlos näherte,
„erinnern, daß die Subventionen für das Langenseer Kinderheim,
das sonst aufgelassen werden müßte, dann die jährliche Unterstützung
für den Studentenmittagstisch — "
Der Chef hörte gar nicht hin. Er starrte wie gebannt auf die
geöffnete Tapetentür. Stanitzer kam von dort, er hielt ein dampfen-
des Teeglas, gefüllt mit trübem dunklen Saft, mit priesterlicher Ge-
bärde dem Leidenden entgegen. Er hatte eine unendlich überlegene
Miene aufgesetzt.
„Hausmittel aus Kaschitz bei Saaz: Kümmelabsud", sagte er
triumphierend.
Der Chef zögerte, aber nur einen Augenblick, dann trank er den
Becher bis zur Neige.
Das Telephon klingelte. „Geheimrat Professor Doktor Dielen-
nagel läßt mitteilen, daß er soeben von Frankfurt abfliegt", meldete
der Generalsekretär.
„Ich glaube", sagte der Chef und sein Gesicht begann ungemein
zu strahlen, „meine Herren, ich glaube . . . lassen Sie mich rasch,
so rasch wie möglich . . .
bitte . . . allein."
Zeichnung von Alois Alorolh
„Sie sind also der Mei-
nung, bester Herr Sta-
nitzer", sagte im Barock-
vorsaal der Privatsekretär
und legte sein Diplomaten-
antlitz in historische Falten,
„Sie sind fest überzeugt
. . . nun ja, warum nicht
. . . hören Sie: wieviele
Menschenschicksale eigentlich
an, sagen wir, eine körper-
liche Laune des Chefs ge-
bunden sind, davon abbängen,
hm, ja sozusagen, wie es um
seine Verdauung bestellt
ist . . . eigentlich immer
dasselbe ... ich meine:
welchen Titel der oberste
Chef führt, tja . . . egal
dasselbe, verehrter Herr von
Stanitzer, gar kein Unter-
schied . . . Sie sind also,
wie gesagt, der Meinung,
daß es . . . wie nennt
man in diesem Fall, ohne
anzustoßen, das Ding beim
richtigen Namen . . . Darm-
gase also . . . Darmkolik,
nicht wahr? - Ja, hm,
seltsam, das ... es ist,
nicht das erste Mal, daß
ich ähnliches Verblüffendes
erlebe ... die Geschichte,
oder was wir halt groß-
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derholt sich doch immer
wieder! Aber es ist nicht viel
dahinter, manchmal fast gar
nichts . . ."
Die Mücke im Schlafzimmer.