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Frühjahr kroch
aus dem Boden
hervor, wie eine
Jungfrau aus
ihrem Bett. . .

Schon waren
die Alleen schwein-
furtergrün tapeziert
und rochen nach
Farbe gleich dem
frischgestrichenen
Küchenkaften der
Frau Pedell Sem-
melweiß, die heute
alle Parterrefenster
aufriß, damit der
Frühling in ihr
Schlafzimmer einziehe und dort, wie die Einleitung zu einem
Aufsatz, das Thema zu sprossender Ehe vorbereite. Über die
Betten hatte sie die mit Schwefel und Zitronensaft aufgefärb-
ten Strohhüte zum Trocknen aufgelegt, so daß das Gemach
nach sizilianischen Früchtehainen und Schwefelgruben duftete.

„Josef, geh zua, d'Füaß kannst dir a' noch waschen, wenn
wir wieder hoamkemma . . .!"

„Ja — und beim Konrektor droben sollt i dö Spucknapf'
a no ausleeren; da führen dö Bazüllen scho ganze Kaiser-
Manöver auf . . .!"

„Z'erst geh' ma aber doch in d'Maiandacht ... es hat
scho' zwoa mal g'litten . . .!"

„'s Kragenknöpfel wer i mir aber do no nei'ftecka derfen . . .
so wird'ö doch net pressieren!"

„Freist, des letzte Mal bist a erst beim Elfenbeinernen Turm
mitten in der Litanei daherkomma . . .!"

„Laß ma d'Fenfter offen . . . ?"

„Natürli, damit 'S recht guat riacht, wenn wir hoamkemma,
wo doch jetzt der Duft der Blüten die Maiennächte sozusagen
schwängert..."

„Guat war'S schon, wenn'S da herin amal nach was anderem
riachet — als wia nach dörrte Apfelschnitz und Hühneraugen-
tinktur . . ." erwiderte der Pedell und schlug die HauStüre zu.

„Im Altertum", sagte die Frau Pedell auf dem Weg zur
AntoniuSkirche, „hat mir der Herr Studienrat Hetz erzählt,
da war'ö ganze Jahr a ollimbischer Frühling und überall hat'S
nach Ambrosi und Weihrauch g'rocha . . ."

„Ja, mei — um dö paar hundert Markl, dö du mitbracht
hast, kann i dir koan ewigen Frühling und koane Rosenftöck
ins Kanapee einpflanzen lassen ... da hättest scho oan von der
GehaltSklasse zwölf heiraten müassen . . .!"

„Von dem red i net... I bin's halt als besseres Zimmer-
mädel von die Herrschaften g'wöhnt, daß alles ein standeSge-
mäßer Duft umgibt — und seitdem Hab i diese Leidenschaft in
mir . . ."

„Guat, nacha geh' ma nach der Maiandacht no zu dem
Gebüsch nach Birkenftoan 'nüber, da riacht's so fein wie in
ein'm Frisörladen, wo'S Haarschneiden achtzig Pfennig kost' .."
Und so rutschten sie in ihren Kirchenftuhl hinein.

Jetzt saßen sie vor ihren zwei Stearinkerzen, die der Pedell
aus der Notbeleuchtung der Aula in das religiöse Familien-
leben unter Umgehung des Dienstweges gesteckt hatte. Aber
genau so, als ob sie nicht gestohlen worden wären, flackerten

fllaicn-
^ nacßt

* Don Jcrnft Ao/erichter

sie gen Himmel — wozu der gußeiserne St. Florian seinen
Kübel löschbereit vom Altar herab hi-lt, um die Gefahr eines
sündigen Brandes zu ersticken . . .

Inzwischen patrouillierte der Hilfsschutzmann Kajetan
Pfleiderer mit einem dienstlichen und einem sündigen Auge
vor den Fenstern des Pedells auf und nieder. Er hatte das
Gymnasium zu bewachen, weil ein Schüler der zweiten Klasse
gedroht hatte, das ganze Bildungöinftilut in die Luft zu
sprengen, wenn er wieder beim Abzeichnen der perspektivisch
gehängten Beißzange einen Fünfer bekäme . . . Solchem Be-
lang war des Schutzmanns dienstliches Auge verpflichtet. Da
die Order nicht bestimmte, welches, so nahm er dazu das linke,
das teilweise aus Glas war. Und mit dem weitsichtigen rechten
Auge erwartete er das Fräulein Marie, die in der Nähe bei
einem Zahnarzt Empfangsdame war.

Und schon stand sie vor ihm wie ein Zeiger.

„WaS is's nachha, Marie . . .?"

„D'Herrschaft is' net fortg'fahren, weil von an Bazienten
wieder alle Plomben rauSg'flogen sind."

„Bluatvonderkatz! . . . Wo geh' ma nacha hin ... ?

„In die Anlagen iS no nix . . . 's GraS iS no net hoch
gnuag und d'Bänk sind alle frisch g'ftricha . . ."

„Deifi . . ! Deifi überananda . . !"

„Überhaupt'S, im Freien is nix . . . in an g'schlossenen
Raum iö vuil schöner ... Da kannt i dann dein Schnurr-
bart streicheln — und den Knopf, wo'ft g'sagt Haft, kann i dir
a einnähen. . . A möbliert's Zimmer sollt' ma halt hab'n . . !"

„Ja, mei, Marie", sagte der Hilfsschutzmann, sah um sich
und überlegte einen wuchtigen Gedanken so und so . . . Aber
immer blieb sein Blick an den weitgeöffneten Parterrefenftern
der Pedellseheleute Semmelweiß haften. Und aus der Tiefe
seines Gemütes tauchte etwas jäh empor — —

Als er die Gasse menschenleer sah, rief er plötzlich wie eine
Kuckucksuhr: „Iessas, da drinna in der Pedellwohnung — da
hat sich was g'rührt. . !"

„Um Gooodswillen . . ! Aus is' . . . !"

„Ja, da muaß i jetzt eini . . . ! Jetzt muaß i a Lebens-
gefahr mach» . . .! Da hilft alles nix . . .!"

„I tua derweil Heraußen für di beten . . . !"

„Na, du muaßt mit eini — wenn i grad an Zeugen
brauchst . « !" und er zog seinen Revolver, so anmutig, als
ob er nur ein Taschenfeuerzeug wäre . . .

DaS EmpfangSfräulein glaubte mitten im siebten Akt eines
Filmdramas zu sitzen. Der Hilfsschutzmann wurde für sie
zum Helden, für den sie in der Höhe des Eintrittsgeldes
zitterte — und dem sie jetzt durchs Parterrefenfter in das
Schlafzimmer des Pedells folgte.

Eine lange Weile war eö drinnen still und ruhig wie in
einer Postsekretärsseele bei starkem Schalterandrang . . . War
es der Kampf mit dem Sekundaner, der das ganze Gymnasium
in die Luft feuern wollte . . . ? Plötzlich menschliche Worte,
die Kunde gaben vom Schreckensort:

„Göi — wia's da zünfti iS herinna . . ."

„Läuten tuatS . . . Hörst aS net, Marie, d' Maiandacht
werd aus sei' . . . ? Itzt müaß ma wieder außi . . !"

„Siegst, a so a Buden sollt' ma halt hab'n, da könnt ma
sich richti auSreden und wär' quasi gegen die rauhen Winde,
welche wehen, geschützt . . . Vielleicht siegst morgen auf
d' Nacht wieder, daß sich drinna waS rührt . « « ?"
 
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