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Kunst-

sachverständige

<Aus Bayern

Zeichnung von L Holler

Dieser Tage klagte die
VortragSkünftlerin Mizzi
Z. vor dem Berliner Va-
riete-Schiedsgericht gegen
den Kabarettbesitzer Sch.
auf Zurücknahme der von
ihm ausgesprochenen frist-
losen Entlastung.

„Da Sie beschuldigt
werden, sehr zweideutige
Lieder zum Vortrag ge-
bracht zu haben, muß ich
Sie schon bitten, uns das
von ihrem bisherigen Ar-
beitgeber bezeichnete Lied
vorzutragen", meint der
Vorsitzende.

„Aber gewiß, Herr
Richter." Und nun legt
das kleine Persönchen
auch schon loö. Sie singt
von einem Jüngling und
einem Mägdelein, von
Küsten und späteren Din-
gen, und am Schluß einer
jeden Strophe heißt eö:

„Die Technik, die hast
du!"

Beisitzer und Zuhörer
schmunzeln, nur der Vor-
sitzende und der Vertreter des Kabarettbesitzers bleiben ernst.

Als sie geendet hat, meint die Künstlerin temperamentvoll:
„Und das soll nun zweideutig sein!"

„Der Rupprecht regt sich wieder. Aber er kommt zu spät — mit'm
Bier ist alles wieder in Ordnung!"

„Hm", macht der Vor-
sitzende. Und der Vertre-
ter des Kabarettbesitzers
lächelt. „Hier habe ich
noch weitere eidesstattliche
Versicherungen, Herr
Amtsrichter, bitte", be-
merkte er sachlich.

„Wer gibt die Ver-
sicherungen ab?"

„Die Garderoben-
frauen des Kabaretts."

„Aber das ist denn doch
stark", ruft der Vertreter
der entlastenen Künstlerin
heftig. Jetzt sollen sogar
Garderobenfrauen, die
nicht einmal im Saal an-
wesend waren, über künst-
lerische Dinge urteilen;
daraus kann man die
ganze Haltlosigkeit der
gegnerischen Behauptun-
gen ersehen. Ich erhebe
Protest gegen die abgege-
benen Erklärungen!"

„Nun, nun", sagt der
Vorsitzende lächelnd, „ich
werde mal die künstleri-
schen Gutachten verlesen."

„Die Unterzeichneten
Garderobenfrauen des ..
... Kabaretts versichern
hiermit an Eides Statt,
daß während des Auf-
tretens von Frl. Mizzi Z.
das Publikum das Lokal fluchtartig dergestalt verlasten hat,
daß es unmöglich war, dem Ansturm an der Garderobe gerecht
zu werden." — Der Rest ist Schweigen. <55.39.

B.Weinerf: Fünf zigtausend

Habt ihr’s gehört? Habt ihr’s gehört?

Was der Geheimrat von Borsig erklärt?

Geheimrat von Borsig, der deutsche Mann,

Der Eisenspeier, der kleine Tyrann? —

Die Arbeiter müssen viel doller ran!

Acht Stunden? — Zwölf Stunden! Vierzehn Stunden!
Und wer noch nicht genug verdienen kann:

Der wird bei sechszehn Stunden gesunden! —
Sozialversicherung? — Große Gefahren!

Sparen sollen die Leute, sparen!

Wer sein Leben lang nicht zu sparen versteht,

Seine Schuld, wenn er später betteln gehtl —
Dann blühte die Dividendenfabrik.

S o treiben sie Sozialpolitik,

Die Borsige!

Habt ihr’s gehört? Habt ihr’s gehört?

Herr Geheimrat von Borsig hat weiter erklärt.
Geheimrat von Borsig erklärte munter,

Und riß die soziale Maske herunter: —
Erwerbslosenfürsorge? — Abgebaut!

Wir dürfen nicht noch die Faulheit belohnen!

Der Arbeitsunwille schießt ins Kraut.

Die Arbeitslosen, das sind die Drohnen!

Wer nicht arbeiten will, soll hungern und frieren.
Dann werden fünfzigtausend krepieren.

Die Wirtschaft kommt nicht eher zum Ziel,

Denn es sind eben fünf zigtausend zu viel! —
Wollen wir noch mehr Offenheit?

Das wäre die neue Sachlichkeit
Der Borsige!

Habt ihr’s gehört? Habt ihr’s gehört? —

Jawohl, die Frage ist schon geklärt!

Denn die Herren Industriegeneräle,

Die sprechen uns hier ganz aus der Seele: —
Wir brauchen die ganzen Drohnen nicht,

Die doch nicht gern am Schraubstock stehen.
Und diese unproduktive Schicht
Kann unbeschadet zugrunde gehen. —

Doch w i r meinen einen andern Feind,

Als wie Herr Geheimrat von Borsig meint.
Von denen, die w i r im Auge haben.

Müßte man fünfzigtausend weniger haben!
Dann kämen wir wahrlich schneller zum Ziel.
Es sind wirklich fünfzigtausend zu viel, —
Aber Borsige!!
 
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