Das Jcnbe eines.Kleinrentners
Als der Kleinrentner Vinzenz Sägfeiller eines Nach-
mittags von seinem Dreißigpfennig-Cafe heimkehrte und seine
Zigarrenkiste öffnete — merkte er, daß er soeben am Stamm-
tisch seine letzte fehlfarbige Giftnudel verraucht hatte. . . .
Und eine schlemmkreidige Bläffe rutschte über sein Antlitz,
so wie einst — als er seine erste Zigarre im Schulhof hinter
den Kehrrichttonnen der Hauömeifterwohnung verdampfte.
Seitdem hatte er wohl einen ganzen Wald aufgeraucht, durch
schlechte, gute und wieder schlechte Zeiten hindurch . . . jetzt
aber war er am hundsmiserabelsten Punkt seines Lebens an-
gelangt. Alles leise Ersparte war lange schon den Weg des
Unwiederbringlichen gewandert, und geblieben war ihm nur die
stolze Scham, die ihm gebot, weder Schenkungen noch Al-
mosen sich in die leeren, ausgefransten Taschen stecken zu lasten.
So traf ihn diese Erkenntnis von der aufgerauchten letzten
Zigarre an. Und wenn ihm die ganze Bude mir allem Basar-
kitsch in Feuer und Rauch aufgegangen wäre, hätte es ihn nicht
schmerzlicher treffen können als gerade dieser Umstand, daß
nun sein letztes Frohlocken, den blauen Rauch vor sich her in
die Luft zu blasen, ein jähes Ende haben sollte.
Augenblicklich stampfte der Kleinrentner Sägfeiller wieder
ins Cafe zurück, um wenigstens den übergelaffenen Stummel
zurückzuretten. Aber da waren ihm schon die deutschen lyri-
schen Dichter zuvorgekommen, die täglich zweimal ihre Streif-
züge durch die Gastwirtschaften unternahmen, um sich mit den
Spitzen der Spazierftöcke ihren Rauchbedarf — aus den
Aschenbechern und zwischen den Tischbeinen hervor - herauf-
zuftechen.
Und gleich einem Droschkengaul mit achtundvierzig Dienst-
stunden wankte er gesenkten Kopfes in feine Schlafstelle zurück.
Jetzt mußte der Kleinrentner auch den Besuch beim Rauchklub
„Strohhalm" einstellen, denn rauchlos im Rauch zu fitzen,
das hätte seine Sehnsucht in einen Schlaganfall verwandelt.
Und sich eine Zigarre schenken zu lasten, das hätte ihn - den
ehemaligen Besitzer von drei Häusern — derart aus dem
seelischen Gleichgewicht gebracht, daß ihm Ehre und Bürger-
stolz in die Krampfadern gefahren wären. . . .!
So blieb er zwischen seinen
schiefen vier Wänden daheim,
sann und dachte darüber nach,
wie er wenigstens einen klein-
ften Ersatz von einer Zigarre
zum Erlebnis machen könne. ..
Anfangs begnügte er sich damit,
den Rauch zu atmen, der von
dampfenden Straßenpaffanten
zu seinem Fenster hinaufftieg.
Zuweilen ging er sogar einem
Havannaraucher lange nach und
schnappte die Düfte ein, die je-
ner ausblies. Schon das leid-
liche Sehen von rauchenden
Dingen erweckte in ihm
hüpfende Freuden. Stunden-
lang sah er nach dampfenden
Schornsteinen aus, blickte in
das mit Zeitungspapier er-
wärmte Ofenrohr — und ein-
mal lief er sogar der Feuerwehr
nach, um recht viel blauen Rauch
auf einmal zu sehen. Mit ver-
gnügtem Lächeln lief er am
Brandplatz entlang, wo eine
Riesen-Zündholzfabrik — bis
auf die Zündhölzer — — zu
Schutt und Asche zusammen-
brannte. . . .
Allmählich aber hielt er nicht länger aus - den Rauch
aus sich heraus zu blasen. Mit einem Rest von Kleister klebte
er sich die Seegrasbüschel, die aus den wunden Stellen seiner
Matratze hingen, zur Form einer Zigarre zusammen - und
verdampfte sie mit himmelfahrtöseligem Gefühle. Auf diese
erfinderische Art setzte er den Roßhaarpolster, die Quasten des
Kanapees, einen alten Jahrgang der „Gartenlaube" und
schließlich seinen eigenen Vollbart in den alleinseligmachenden
Rauch um, wodurch er an Seele und Leib wieder merklich
aufblühte — und mit Leibniz diese Welt als die beste aller mög-
lichen Welten pries und gebenedeite.
Diesen Hosianarufen folgte aber der Pereatschrei, als so
ziemlich alles in seinem schön möblierten Zimmer aufgeraucht
und verdampft war. Und als er schließlich auch noch die Ta-
peten als Zigarre in die Luft geblasen hatte, da war das Letzte
in Freude und Lust vertan. . . .
Seine Ehre wurde dehnbar wie ein alter Hosenträger, und
sie duckte sich endlich unter der Gewalt des Schicksals. Und der
Kleinrentner Vinzenz Sägfeiller gab sich einen weltmännischen
Ruck, der ihn ins Büro der staatlichen „Kleinrentner-Hilfe"
führte. Dort, so hatte er erfahren, wurden den Armen am
Irdischen die Spenden und Almosen der ungenannt sein
wollenden Stifter in Hochherzigkeit und Milde verteilt. . . .
An dieser Stelle also bat der Kleinrentner um irgend etwas
Rauchbares. . . . Und wie bei Prinzessinnen in Märchen-
büchern ward seine Freude groß, schlug sein Herz froh bis zu
der Stelle hinauf, wo ehedem seinen Hals ein Papierkragen
zrerte — als er dort eine wirklich echte Zigarre überreicht
bekam. Wie zu einem Gottesdienst bereitete er sich in seiner
kahlen Bude zu dem unendlichen Genuß vor. Sieben Stunden
vorher verharrte er in Betrachtung und Anschauung vor dieser
menschenfreundlichen Spende. Im voraus schickte er Dank-
gcbete zum Himmel empor, in denen auch Fürbitten für den
ungenannten Stifter und für dies vortreffliche Büro einge-
schlossen waren. . . .
Derart vorbereitet, entzündete er die Zigarre, tat ein
Dutzend Züge und — fiel mausetot um. Der gerichtsärztliche
Befund vermochte nicht festzu-
stellen, ob als Todesursache die
Unmenschliche Freude oder die
Qualität der Zigarre maßgebend
war. — Bezeichnend ist immerhin
gewesen, daß die Untersuchungen
am Körper des Entschla-
fenen — und nicht an der ange-
rauchten Zigarre vorgenommen
wurden; denn selbst die schneidig-
sten Ärzte und die Chemiker für
Sprengstoffe wagten eS nicht,
diesen Tabak in Rauch zu ver-
wandeln. — Durch den Rauch-
klub „Strohhalm" bekam der
Kleinrentner aber noch ein wür-
diges Begräbnis. Achtzehn Mit-
glieder rauchten am offenen
Grabe je eine Havanna und
klopften die Asche in die Grube
hinein, wo sie auf eine Zigarren-
kiste fiel, in die nun der arme
Raucher bis in die Ewigkeit ein-
gebettet wurde. . . .
Am Hügel seines Grabes
wurden Tabakspflanzen einge-
setzt, von denen sich im Herbst
der Friedhofaufseher im Vor-
übergehen seine kurze Pfeife
stopfte. Ernst Hoferichter.
Am Hamburger Freihafen
Zeichnung von WNN Gteioert
„Sie sagen, das wäre Kaninchenfutter? Das
sind doch Kaffeebohnen!"
„Nee, dat is Kaninchenfauder, un wenn de
Beester dat nich freten daun, kriegen se gornix-"
Als der Kleinrentner Vinzenz Sägfeiller eines Nach-
mittags von seinem Dreißigpfennig-Cafe heimkehrte und seine
Zigarrenkiste öffnete — merkte er, daß er soeben am Stamm-
tisch seine letzte fehlfarbige Giftnudel verraucht hatte. . . .
Und eine schlemmkreidige Bläffe rutschte über sein Antlitz,
so wie einst — als er seine erste Zigarre im Schulhof hinter
den Kehrrichttonnen der Hauömeifterwohnung verdampfte.
Seitdem hatte er wohl einen ganzen Wald aufgeraucht, durch
schlechte, gute und wieder schlechte Zeiten hindurch . . . jetzt
aber war er am hundsmiserabelsten Punkt seines Lebens an-
gelangt. Alles leise Ersparte war lange schon den Weg des
Unwiederbringlichen gewandert, und geblieben war ihm nur die
stolze Scham, die ihm gebot, weder Schenkungen noch Al-
mosen sich in die leeren, ausgefransten Taschen stecken zu lasten.
So traf ihn diese Erkenntnis von der aufgerauchten letzten
Zigarre an. Und wenn ihm die ganze Bude mir allem Basar-
kitsch in Feuer und Rauch aufgegangen wäre, hätte es ihn nicht
schmerzlicher treffen können als gerade dieser Umstand, daß
nun sein letztes Frohlocken, den blauen Rauch vor sich her in
die Luft zu blasen, ein jähes Ende haben sollte.
Augenblicklich stampfte der Kleinrentner Sägfeiller wieder
ins Cafe zurück, um wenigstens den übergelaffenen Stummel
zurückzuretten. Aber da waren ihm schon die deutschen lyri-
schen Dichter zuvorgekommen, die täglich zweimal ihre Streif-
züge durch die Gastwirtschaften unternahmen, um sich mit den
Spitzen der Spazierftöcke ihren Rauchbedarf — aus den
Aschenbechern und zwischen den Tischbeinen hervor - herauf-
zuftechen.
Und gleich einem Droschkengaul mit achtundvierzig Dienst-
stunden wankte er gesenkten Kopfes in feine Schlafstelle zurück.
Jetzt mußte der Kleinrentner auch den Besuch beim Rauchklub
„Strohhalm" einstellen, denn rauchlos im Rauch zu fitzen,
das hätte seine Sehnsucht in einen Schlaganfall verwandelt.
Und sich eine Zigarre schenken zu lasten, das hätte ihn - den
ehemaligen Besitzer von drei Häusern — derart aus dem
seelischen Gleichgewicht gebracht, daß ihm Ehre und Bürger-
stolz in die Krampfadern gefahren wären. . . .!
So blieb er zwischen seinen
schiefen vier Wänden daheim,
sann und dachte darüber nach,
wie er wenigstens einen klein-
ften Ersatz von einer Zigarre
zum Erlebnis machen könne. ..
Anfangs begnügte er sich damit,
den Rauch zu atmen, der von
dampfenden Straßenpaffanten
zu seinem Fenster hinaufftieg.
Zuweilen ging er sogar einem
Havannaraucher lange nach und
schnappte die Düfte ein, die je-
ner ausblies. Schon das leid-
liche Sehen von rauchenden
Dingen erweckte in ihm
hüpfende Freuden. Stunden-
lang sah er nach dampfenden
Schornsteinen aus, blickte in
das mit Zeitungspapier er-
wärmte Ofenrohr — und ein-
mal lief er sogar der Feuerwehr
nach, um recht viel blauen Rauch
auf einmal zu sehen. Mit ver-
gnügtem Lächeln lief er am
Brandplatz entlang, wo eine
Riesen-Zündholzfabrik — bis
auf die Zündhölzer — — zu
Schutt und Asche zusammen-
brannte. . . .
Allmählich aber hielt er nicht länger aus - den Rauch
aus sich heraus zu blasen. Mit einem Rest von Kleister klebte
er sich die Seegrasbüschel, die aus den wunden Stellen seiner
Matratze hingen, zur Form einer Zigarre zusammen - und
verdampfte sie mit himmelfahrtöseligem Gefühle. Auf diese
erfinderische Art setzte er den Roßhaarpolster, die Quasten des
Kanapees, einen alten Jahrgang der „Gartenlaube" und
schließlich seinen eigenen Vollbart in den alleinseligmachenden
Rauch um, wodurch er an Seele und Leib wieder merklich
aufblühte — und mit Leibniz diese Welt als die beste aller mög-
lichen Welten pries und gebenedeite.
Diesen Hosianarufen folgte aber der Pereatschrei, als so
ziemlich alles in seinem schön möblierten Zimmer aufgeraucht
und verdampft war. Und als er schließlich auch noch die Ta-
peten als Zigarre in die Luft geblasen hatte, da war das Letzte
in Freude und Lust vertan. . . .
Seine Ehre wurde dehnbar wie ein alter Hosenträger, und
sie duckte sich endlich unter der Gewalt des Schicksals. Und der
Kleinrentner Vinzenz Sägfeiller gab sich einen weltmännischen
Ruck, der ihn ins Büro der staatlichen „Kleinrentner-Hilfe"
führte. Dort, so hatte er erfahren, wurden den Armen am
Irdischen die Spenden und Almosen der ungenannt sein
wollenden Stifter in Hochherzigkeit und Milde verteilt. . . .
An dieser Stelle also bat der Kleinrentner um irgend etwas
Rauchbares. . . . Und wie bei Prinzessinnen in Märchen-
büchern ward seine Freude groß, schlug sein Herz froh bis zu
der Stelle hinauf, wo ehedem seinen Hals ein Papierkragen
zrerte — als er dort eine wirklich echte Zigarre überreicht
bekam. Wie zu einem Gottesdienst bereitete er sich in seiner
kahlen Bude zu dem unendlichen Genuß vor. Sieben Stunden
vorher verharrte er in Betrachtung und Anschauung vor dieser
menschenfreundlichen Spende. Im voraus schickte er Dank-
gcbete zum Himmel empor, in denen auch Fürbitten für den
ungenannten Stifter und für dies vortreffliche Büro einge-
schlossen waren. . . .
Derart vorbereitet, entzündete er die Zigarre, tat ein
Dutzend Züge und — fiel mausetot um. Der gerichtsärztliche
Befund vermochte nicht festzu-
stellen, ob als Todesursache die
Unmenschliche Freude oder die
Qualität der Zigarre maßgebend
war. — Bezeichnend ist immerhin
gewesen, daß die Untersuchungen
am Körper des Entschla-
fenen — und nicht an der ange-
rauchten Zigarre vorgenommen
wurden; denn selbst die schneidig-
sten Ärzte und die Chemiker für
Sprengstoffe wagten eS nicht,
diesen Tabak in Rauch zu ver-
wandeln. — Durch den Rauch-
klub „Strohhalm" bekam der
Kleinrentner aber noch ein wür-
diges Begräbnis. Achtzehn Mit-
glieder rauchten am offenen
Grabe je eine Havanna und
klopften die Asche in die Grube
hinein, wo sie auf eine Zigarren-
kiste fiel, in die nun der arme
Raucher bis in die Ewigkeit ein-
gebettet wurde. . . .
Am Hügel seines Grabes
wurden Tabakspflanzen einge-
setzt, von denen sich im Herbst
der Friedhofaufseher im Vor-
übergehen seine kurze Pfeife
stopfte. Ernst Hoferichter.
Am Hamburger Freihafen
Zeichnung von WNN Gteioert
„Sie sagen, das wäre Kaninchenfutter? Das
sind doch Kaffeebohnen!"
„Nee, dat is Kaninchenfauder, un wenn de
Beester dat nich freten daun, kriegen se gornix-"