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länder, die Donau= und Balkanländer zu erobern, und als einige Jahrhunderte später das
Ausfallstor zu einem Einfallstor wurde, die erstarkten und durch die fortwährende Berührung
mit den Römern teilweise nach Römerart organisierten Barbaren ihrerseits erobernd in Italien
einbrachen, setzten sie sich zuerst hier fest und gründeten auf den Trümmern der römischen
Weltherrschaft ihre Reiche. Hier war der klassische Boden der Völkerwanderung, und die
großen und schrecklichen Namen Odoaker, Theodorich und Attila bleiben für immer mit
Ravenna und Aquileja verknüpft.

Später dankte Venedig, das durch eben die Stürme der Völkerwanderung entstand, welche
so viele Städte zerstörten, die eigenartigste und kostbarste Blüte dieses Niederlandes, seine Größe
der Lage der Ostküste des Adriatischen Meeres gegenüber, und der hereinragende Orient hat
nicht wenig dazu beigetragen, der Märchenstadt ihr Gepräge zu geben. Ungefähr in der Mitte
unserer Küstenstrecke gelegen, hat es durch einen weit längeren Zeitraum als die eben
genannten beiden Römerstädte seinen Einfluß auf die Weltereignisse geübt und eine Kultur
gezeitigt, die neben der im engeren Sinne italienischen und ihr ebenbürtig die Menschheit
wesentlich bereichert hat.

II

Mehr als ein halbes Jahrtausend nach der Gründung Roms entstand 181 v. Chr., unweit
den letzten Ausläufern des Karstgebirges, ursprünglich als Militärkolonie und Grenzfeste, die
Stadt Aquileja. Sie lag im Isonzodelta und wie alle Städte dieses Landstriches bei ihrer Grün-
dung näher dem Meere als jetzt. Zahlreiche Inseln bewachten die Einfahrt zu ihrem Hafen,
auf deren einer später die Stadt Grado sich erhob, die Zufluchtstätte der Bischöfe von Aquileja
und später seine Rivalin fast das ganze Mittelalter hindurch. Ähnlich wie bei Ravenna war
diese Flachküste, die Schiffen mit geringem Tiefgange sichere Zufahrt ermöglichte, für große
Fahrzeuge aber nicht praktikabel ist, eine Ursache der Blüte Aquilejas im Altertume und seines
Verfalles in späterer Zeit. Beide volkreiche Städte müssen wir uns als Vorläuferinnen Venedigs
von Kanälen durchzogen und bis in die ersten christlichen Jahrhunderte hinein hauptsächlich
aus Holzbauten bestehend vorstellen.

Zwischen der Stadt und dem Meere dehnte sich ein Pinienwald, dessen Reste die Bäume
bei der heutigen Ortschaft Belvedere sind, etwa r/a Gehstunden südlich vom alten Stadtzen-
trum gelegen. Dieser Wald erstreckte sich einst die ganze Küste entlang bis Ravenna, und die
Laguneninseln waren ebenfalls mit Pinien bepflanzt, woraus es sich erklärt, daß dieses Mün-
dungsgebiet zahlreicher Ströme im Altertume viel gesünder war, als es heute ist. Wie die
Bäume des Aquilejensischen Belvedere, so ist die von Dante, Boccaccio und Lord Byron ge-
feierte Pineta bei Ravenna ein Überrest jenes Küstenwaldes, den leider in jüngster Zeit arge
Stürme stark gelichtet haben.

Dem zur Zeit seiner Gründung so günstig gelegenen Aquileja nun war es bestimmt, wie
ein Echo oder wie ein nach Nordosten projizierter Schatten in abgeschwächtem Maße die
Schicksale der großen Roma zu wiederholen. An den Grenzen Noricums und Pannoniens
durch den Handelsverkehr mit dem Norden und Osten emporgeblüht, als Ausgangspunkt
wichtiger kriegerischer Unternehmungen eine beliebte Kaiserresidenz, war sie in den ersten
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine der größten und schönsten Städte des Reiches, von
den Griechen die goldene Stadt, Chrysopolis, genannt. Hier wurde Vespasian von seiner
mösischen Legion zum Kaiser ausgerufen, hier Septimius Severus mit den pannonischen Le-
gionen vor dem Kampfe mit Didius Julianus jubelnd begrüßt. 238 nach Christus fand Maxi-
min, als er aufgebrochen war, Italien zu erobern, die Stadt vom römischen Senate verschanzt,
und er und sein Sohn endeten durch Mord unter ihren Mauern. Anderthalb Jahrhunderte
später widerstand sie einer Belagerung durch Alarich und wurde im Jahre 452 durch Attila
grausam zerstört. Vierzig Jahre darauf entriß bei den Trümmern Aquilejas an den Ufern des
Isonzo Theodorich dem Odoaker die Herrschaft über Italien, und 552, genau ein Jahrhundert
nach der Einnahme durch die Hunnen, erfolgt eine abermalige Zerstörung der Stadt durch den
von Narses aus Rache gegen den Sohn Justinians aus Pannonien herbeigerufenen Alboin und

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