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32Ö
oder eine ähnliche Natur darstellt, und damit ist wiederum die
Zweiheit der Vorstellungsreihen gegeben, die für den ästhetischen
Genuss charakteristisch ist. Der Unterschied dieses Vorgangs von
dem der gewöhnlichen Illusion ist nur der, dass der Ausgangs-
punkt ein anderer ist. Bei dem gewöhnlichen ästhetischen Ge-
nüsse pendelt das Bewusstsein von a nach b, d. h. von der Kunst
nach der Natur, bei der umgekehrten Illusion von b nach a, d. h.
von der Natur nach der Kunst.
Theoretisch wird die Möglichkeit eines solchen psychischen Vor-
gangs nicht zu leugnen sein. Dass er thatsächlich sehr oft statt-
findet, lässt sich an einigen halbkünstlerischen Erscheinungen nach-
weisen, deren Wesen bisher von der Ästhetik nicht klar erfasst
worden ist und auch vor Ausbildung der Illusionstheorie nicht
klar erfasst werden konnte.
Die erste derselben ist das Stellen lebender Bilder. Der
eigentümliche ästhetische Reiz, der gut gestellten lebenden Bil-
dern innewohnt, beruht weder auf der Schönheit der Personen,
von denen sie gestellt werden, noch auch auf ihrem mehr oder
weniger sympathischen Inhalt — denn dieser braucht ja gar nicht
immer angenehm zu sein —, sondern auf der bildähnlichen Art,
wie die Personen dabei gruppiert sind. Dies wird am besten klar,
wenn es sich um das Stellen eines historisch bekannten den Zu-
schauern geläufigen Bildes handelt. Nehmen wir an, es läge einem
solchen z. B. Raffaels heilige Caecilia oder Menzels Flötenkonzert
Friedrichs des Grossen zu Grunde, und suchen wir uns über den
psychischen Vorgang bei der Betrachtung desselben klar zu wer-
den. Da wrird man zunächst sagen dürfen, dass den vollen Ge-
nuss nur diejenigen haben werden, die das Original oder wenig-
stens Kopien davon aus eigener Anschauung kennen. Einen ge-
wissen Genuss mögen zwar auch die anderen haben. Aber der-
selbe kann sich nur entweder auf den Inhalt als solchen oder auf
die schöne Form, d. h. auf die Schönheit der das Bild stellenden
Personen, die schönen Farben ihrer Gewänder u. s. w. beziehen.
Für diejenigen, die das Original kennen, besteht die Schönheit in
der Übereinstimmung des gestellten Bildes mit dem ge-
malten. Diese Übereinstimmung braucht keineswegs eine in allen
Einzelheiten genaue zu sein. Sie muss nur derart sein, dass dem
Beschauer das Erinnerungsbild des Gemäldes sofort in den Blick-
punkt des Bewusstseins tritt. Dann entsteht eine doppelte Reihe
von Vorstellungen. Einerseits sieht der Beschauer das lebende
 
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