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Klaus Lankheit - Das Freundschaflsbild der Romantik
in der Landschaft noch wie in einem fremden Atelier, jetzt öffnete man sich
der Natur mit weiten Augen und begeisterungsvollem Herzen. Die Natur-
liebe aber strahlte auf den Freund über, wie die Liebe des Freundes wiederum
die Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur steigerte. So sind etwa auch
Skizzen wie die Goethes, welche ihn mit einem Freund als Rückenfiguren
auf seiner Schweizer Reise 1775 zeigt, als Freundschaftsbilder mitzuwerten246).
Es ist zu bedenken, daß die meisten dieser Bilder als Gelegenheitsarbeiten
entstanden sind, im engsten Kreise aufbewahrt wurden und darum heute
nicht mehr aufzufinden sind. So gibt es Freundschaften, die nicht durch Bild-
material zu belegen sind, in denen der neue Geist aber so vernehmlich aus
sonstigen Quellen spricht, daß wir zumindest die Frage wagen dürfen, ob
nicht auch bildliche Darstellungen vorhanden gewesen sind. Ungeachtet der
Tatsache, daß er unter der südlichen Sonne den Bruch mit seiner Vergangen-
heit vollzogen hat, mag in diesem Zusammenhänge Wilhelm Müller (der
„Maler Müller“) als einer der nicht nur in seiner Doppelbegabung charak-
teristischen Vertreter des Sturm und Drang herangezogen werden. In seiner
überschäumenden Jugend spielte die Freundschaft eine entscheidend wichtige
Rolle. Wenn uns auch keine bildnerische Gestaltung bekannt ist, so gewährt
doch seine Lieddichtung einen Einblick in die erlösende Macht der Gemein-
schaft (zum Beispiel: „Nach Hahns Abschied“)247).
Wie bei Chodowiecki auf Nahtstellen zwischen bürgerlichem Barock und
„Empfindsamkeit“ hingewiesen wurde, müssen zum Beschluß auch Über-
gänge vom sentimentalen Freundschaftsbild zu dem des Sturm und Drang
in ein und derselben Künstlerpersönlichkeit erwähnt werden. Wir haben die
sentimentalisch weiche Allegorie der „Jünglinge vor der untergehenden
Sonne“ von der Fland Wilhelm Tischbeins kennengelernt. Als dieser
Künstler, der mit einem kurhessischen Stipendium in Rom gewesen war,
auf der Rückreise nach Kassel 1781 in Zürich mit dem dortigen Lavaterkreis
in Berührung kam, den wir als Keimzelle eines bildnerischen „Sturm und
Drang“ erlebten, scheint auch etwas von dem neuen Geist auf ihn über-
gesprungen zu sein. In dem Doppelbildnis, das er von sich und seinem jünge-
ren Bruder — unter dessen Mithilfe — schuf, ist die „empfindsame“ Auf-
fassung bewußt unterdrückt248). Unverbunden sitzen die Brüder einander
gegenüber, eine inhaltliche Verbindung wird nur durch eine Handbewegung
des Älteren angedeutet. Ein Bild im Bilde, — Diogenes, der mit einer La-
terne am hellen Tage Menschen sucht —, unterstreicht programmatisch die
mit der Wahl der Bildform ausgesprochene Abkehr von konventioneller
Geste. Es ist nicht schwer, die Herkunft des Bildschemas zu erraten. Zweifel-
los hat Tischbein das um diese Zeit bereits im Wollenhof in Zürich hängende
Doppelbildnis Füsslis gesehen und als Vorbild benutzt. Eine Federzeichnung,
die Bodmer und Lavater im Gespräch darstellt und von Tischbein ebenfalls
1781 geschaffen wurde, zeigt eine noch engere Abhängigkeit von Füsslis
Bild249). Es ist interessant, wie ein Künstler, der in einen von revolutionären
Klaus Lankheit - Das Freundschaflsbild der Romantik
in der Landschaft noch wie in einem fremden Atelier, jetzt öffnete man sich
der Natur mit weiten Augen und begeisterungsvollem Herzen. Die Natur-
liebe aber strahlte auf den Freund über, wie die Liebe des Freundes wiederum
die Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur steigerte. So sind etwa auch
Skizzen wie die Goethes, welche ihn mit einem Freund als Rückenfiguren
auf seiner Schweizer Reise 1775 zeigt, als Freundschaftsbilder mitzuwerten246).
Es ist zu bedenken, daß die meisten dieser Bilder als Gelegenheitsarbeiten
entstanden sind, im engsten Kreise aufbewahrt wurden und darum heute
nicht mehr aufzufinden sind. So gibt es Freundschaften, die nicht durch Bild-
material zu belegen sind, in denen der neue Geist aber so vernehmlich aus
sonstigen Quellen spricht, daß wir zumindest die Frage wagen dürfen, ob
nicht auch bildliche Darstellungen vorhanden gewesen sind. Ungeachtet der
Tatsache, daß er unter der südlichen Sonne den Bruch mit seiner Vergangen-
heit vollzogen hat, mag in diesem Zusammenhänge Wilhelm Müller (der
„Maler Müller“) als einer der nicht nur in seiner Doppelbegabung charak-
teristischen Vertreter des Sturm und Drang herangezogen werden. In seiner
überschäumenden Jugend spielte die Freundschaft eine entscheidend wichtige
Rolle. Wenn uns auch keine bildnerische Gestaltung bekannt ist, so gewährt
doch seine Lieddichtung einen Einblick in die erlösende Macht der Gemein-
schaft (zum Beispiel: „Nach Hahns Abschied“)247).
Wie bei Chodowiecki auf Nahtstellen zwischen bürgerlichem Barock und
„Empfindsamkeit“ hingewiesen wurde, müssen zum Beschluß auch Über-
gänge vom sentimentalen Freundschaftsbild zu dem des Sturm und Drang
in ein und derselben Künstlerpersönlichkeit erwähnt werden. Wir haben die
sentimentalisch weiche Allegorie der „Jünglinge vor der untergehenden
Sonne“ von der Fland Wilhelm Tischbeins kennengelernt. Als dieser
Künstler, der mit einem kurhessischen Stipendium in Rom gewesen war,
auf der Rückreise nach Kassel 1781 in Zürich mit dem dortigen Lavaterkreis
in Berührung kam, den wir als Keimzelle eines bildnerischen „Sturm und
Drang“ erlebten, scheint auch etwas von dem neuen Geist auf ihn über-
gesprungen zu sein. In dem Doppelbildnis, das er von sich und seinem jünge-
ren Bruder — unter dessen Mithilfe — schuf, ist die „empfindsame“ Auf-
fassung bewußt unterdrückt248). Unverbunden sitzen die Brüder einander
gegenüber, eine inhaltliche Verbindung wird nur durch eine Handbewegung
des Älteren angedeutet. Ein Bild im Bilde, — Diogenes, der mit einer La-
terne am hellen Tage Menschen sucht —, unterstreicht programmatisch die
mit der Wahl der Bildform ausgesprochene Abkehr von konventioneller
Geste. Es ist nicht schwer, die Herkunft des Bildschemas zu erraten. Zweifel-
los hat Tischbein das um diese Zeit bereits im Wollenhof in Zürich hängende
Doppelbildnis Füsslis gesehen und als Vorbild benutzt. Eine Federzeichnung,
die Bodmer und Lavater im Gespräch darstellt und von Tischbein ebenfalls
1781 geschaffen wurde, zeigt eine noch engere Abhängigkeit von Füsslis
Bild249). Es ist interessant, wie ein Künstler, der in einen von revolutionären