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Es war im Jahre 1910. Das Bazarwesen
hatte sich zu einer ungeheuren Ausdehnung
entwickelt. Es gab keine Cigarren- und Mehl-
und Vorkostläden mehr, keine Droguen- und
Handschuhgeschäfte, keine Schuster- und
Grünkramkeller. Alles war verbazart worden.
Im Laufe der Zeit war Wertheim durch Tietz
abgelöst worden, und dieser einige Jahre
später durch das grösste aller Waarenhäuser,
den „Universal-Weltbazar Gustav Protzen“.
Dieser ingeniöse Kaufmann hatte seinem
Geschäfte alle Artikel einverleibt, die es nur
geben konnte: Kaffee und Insektenpulver,
Zucker und Stiefelwichse, Flaschenbier und
künstliche Augen, Filzpantoffeln und Hunde-
kuchen, Perrücken und Kanonen. In letzteren
machte er allerdings seit der allgemeinen Ab-
rüstung kein Geschäft mehr, weshalb er sie
im Preise bedeutend herabsetzte.
Protzen war der Herr von Berlin. Sämmt-
liche Hausfrauen machten bei ihm ihre Ein-
käufe, seitdem er alle Waaren um einen
Pfennig billiger verkaufte, als die Konkurrenz.
Eines Tages — er schlürfte gerade eine
Schaale „Bazar-Melange“ in seiner eigenen
Konditorei und rauchte eine feine Kuba mit
Bazar-Havanna-Einlage, — kam er auf eine
gloriose Idee. Sämmtlicher Artikel hatte er
sich bemächtigt, sogar der Kunst, nur eines
noch nicht, — des Theaters. Dies allein war
bisher seiner Aufmerksamkeit entgangen und
nicht verbazart worden. Na, also! —
Herr Protzen war ein Mann von schnellen
Entschlüssen. Schon drei Tage darauf hatte
er ein Terrain gekauft; tausend Quadrat-
ruthen am Pariser Platz. Und zwei Stunden
später gab er Bernhard Sehring ein Theater
für 1800 Personen zum Betrage von
1 195 004 Mark in Auftrag. —
Ein Jahr verging, da war es aufgeführt und
fertig bis auf die kleinsten Details. Prunkvoll,
märchenhaft zu schauen. Ganz in weiss, mit
echten Marmorsäulen und prächtigem Foyer
und grossartigem Brokatvorhang, auf dem —
angefertigt von der Meisterhand des grössten
Berliner Schlachtenmalers— der Preiscourant
des Universal-Weltbazars G.P. verzeichnet war.
Ein grosses Schauspielerpersonal wurde
engagirt. Die berühmtesten Künstler Hessen
sich gern fesseln, da dieKontrakte sehr splendid
waren und nur die eine Klausel enthielten: dass
die Mitglieder des Theaters ihren gesammten
Bedarf bei der Firma G. P. zu decken hatten.
Vorher schon hatte Herr Protzen bei den
bekanntesten Autoren U/a Dutzend Theater-
stückebestellt,umgehend zu liefern. Und zwar:

4 dreiaktige Lustspiele.
ä
5 000 Mark
2 fünfaktigeTrauerspiele
ä
2 000
2 dreiaktige Schwänke .
ä
7 000
1 vieraktige Komödie .
ä
1 500
»
8 vier- bis fünfaktige ge-
reimte Hohenzollern-
Dramen ....
k
6 000
»
1 Posse mit Gesang und
Tanz in 6 Bildern
ä
20 000

18 Theaterstückezusammen 107 500 Mark.

Das, meinte er, dürfte dem Konsum
einstweilen genügen.
In der Zusammensetzung der Lese-
kommission zeigte sich auf’s Neue sein
genialer Blick. Einen Dramaturgen hielt er
für total überflüssig; die Sorte kostete Geld
und las doch nichts.
Die Lustspiele prüfte der Rayonchef für
Kopirmaschinen; die Trauerspiele natürlich
der Vorsteher des Sargmagazins; die
Schwänke sein Leiter für Antiquitäten;
die Komödie sein junger Mann für Kinder-
spielzeug und die Posse mit Gesang selbst-
verständlich der Chef der Blechwaaren.
Die Hohenzollerndramen wurden über-
haupt nicht gelesen, denn erstens waren
sie zu uniform und zweitens wirkten sie auf
das Publikum sicher schon durch ihren
Patriotismus.
Das Wichtigste aber, die Preise der
Plätze, setzte der Chef des Hauses selbst
fest. Er notirte für


Fremdenloge. . .
4 Mark 32 Pf.
Parquetloge . . .
3 „
28 „
I. Rang Loge . .
2 „
19 „
Parquet . . . .
1 „
41 „
II. Rang Balkon .
1 „
03 „
III. Rang Balkon .
• 67 „
III. Rang Stehplatz
• 14 „
einschliesslich Garderobe.
Ausserdem führte er für
Montag
Freitag Ausnahmetage
ein
zu ha!

Kassenpreisen — Bruchtheile von Pfennigen
nach oben erhöht, wo er tantiemefreie
Stücke todter Schriftsteller aufzuführen ge-
dachte, wie die „Räuber“ und die „zärtlichen
Verwandten“.
Dieses Repertoire hatte sein erster Ein-
käufer für Parfümerien zusammengestellt,
der auf das „Schiller-Theater“ abonnirt war.
Am Eröffnungstage war das „Bazar-
Theater“ total ausverkauft. Leider war es
ein Freitag, und das Stück — Albrecht der
Bär, vaterländisches Schauspiel in 4 Akten
und 1 Vorspiel — rasselte unter Haus-
schlüsselgepfeife durch, trotzdem es mit dem
Absingen der Nationalhymne endete.
Doch Herrn Protzen focht das nichts an;
das Theater war dennoch eine Woche hin-
durch gefüllt von seinen jungen Leuten und
deren — Cousinen. Auch hatte er noch vor
der Eröffnung ein ausgezeichnetes Geschäft
gemacht, indem er vier von den Hohen-
zollerndramen mit 40% Nutzen abgegeben
hatte — an das „Schauspielhaus“ und das
„Berliner Theater“. —
Aber das Glück wollte nicht kommen.
Keines der noch auf Lager befindlichen
13 Theaterstücke im Betrage von 77 500 Mark

konnte sich halten. Selbst die grosse Posse
mit Gesang brachte es nur bis zur sieben-
undzwanzigsten Aufführung, trotzdem zwei-
hundert Jungfrauen, kleidsam unbekleidet,
auf die Bühne kamen, die Autoren die
besten Witze aus alten Kalendern gemacht,
der Kapellmeister die schönste Musik be-
liebter Meister komponirt hatte und der
alte Thomas per Luftballon in die Höhe ging
und sich vermittelst Fallschirm wieder her-
unterliess. —
Herr Protzen war kein Mann der blassen
Furcht. Ein Unternehmen, das er entrirt
hatte — aufgeben und sich lächerlich
machen — never! Er hielt das Theater vier
Jahre hindurch und füllte es mühsam, indem
er die Billets ohne Aufgeld gratis verkaufte.
—- Zuletzt erhielt in seinem Bazar jeder
Käufer von Waaren im Betrage von zehn
Mark als Rabatt ein Parquetbillet. —
Da kam Herr Protzen auf eine letzte
Idee. Er bat Blumenthal und Kadelburg
gegen sofortige Kassazahlung um einen
abendfüllenden,soliden, dauerhaften Schwank.
Doch diese mussten refüsiren, da sie ihre
Gesammtproduktion an das „Lessing-Theater“
fest abgegeben hatten. Und Blumenthal ant-
wortete mit folgendem Epigramm:
Ablehnend gebe ich Bescheid,
So gern ich auch nach Mammon greife;
Zum Zeichen der Erkenntlichkeit
Bestell’ ich zwölf Stück Mandelseife. —
Damit war das Schicksal des Theaters
besiegelt, es kam, wohin es kommen musste:
zum Krach.
Und ein gefürchteter Kritiker schrieb:
Die Kunst lässt sich nicht verbazaren. Sie
ist zwar eine Quelle der Freude, der Er-
quickung und Bildung für das Volk, also so-
zusagen ein Artikel für die Massen, aber kein
Massenartikel. Daher traf ein, was ich
prophezeit hatte, die Initialen G. P. bedeuteten
Grosse Pleite.


Dem Niegesehenen.
Es geht die Zeitungsnachricht durch das
Land: *
Der Tausendmarkschein kriegt ein neu
Gewand. —
’s ist Weltenlauf, Verbrauchtes muss ver-
geh’n,
Doch dieseNeu’rung kann ich nichtversteh’n.
Ob alt, ob schlecht, mir wird ein Kassen-
schein
Von solcher Höhe stets was Neues sein.

Symptom.
„Wissen Sie, liebe Freundin, der Doktor
Stephany mus seine Frau schrecklich be-
handeln.“
„„Wie kommen Sie darauf? Sie hat
sich doch noch nie beklagt?““
„Sehen Sie, das macht mich eben so
misstrauisch.“

10

LUSTIGE BLÄTTER.

No. 1
 
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