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^omen esf ©men.
„Sie brechen viel zu früh auf, Fräulein Lenore.“ — „„Wieso?““ — „Nun, Sie dürften doch erst ums Morgenroth fahren.“

I>er Dauer-Küsser.
Amerikanisches Schauspiel in drei Akten. — Personen: Edward Lee, Senator; Arabella, seine Gattin.

Akt I.
Lee: Hast Du schon von Hobson
gehört, Arabella?
Arabella: Gewiss; Hobson, das ist
doch unser Held von Santiago, der junge
Genie-Offizier, der denMerrimac versenkt hat.
Lee: Ganz recht; und ich bewundere
ihn pflichtschuldigst wie jeder Amerikaner.
Aber ich muss doch sagen, was dieser Mann
jetzt treibt, ist geradezu skandalös. Stelle
Dir vor: er reist von Ort zu Ort, hält überall
Vorträge über seine Heldenthat, lässt
sich bejubeln, — soweit hätte ich nichts ein-
zuwenden, — aber nun kommt das Unerhörte:
nach Schluss des Vortrages küsst er
sämmtliche anwesenden Damen!
Hunderte an einem Abend! Alle Zeitungen
sind voll davon, sie publiciren täglicl% die
Kussziffer, die schon in die Tausende rmcht.
Arabella: Ich kann das nicht so ent-
setzlich finden; er ist doch schliesslich ein
nationaler Held, und wenn ihm das Küssen
so grossen Spass macht, ... Du lieber Gott,
ich würde mich persönlich ja nicht dazu
drängen, aber verdenken kann ich es keiner
Dame, wenn sie ihn auf diese Art feiert.
Lee; Ich verdenke es jeder; diese
Küsserei ist erstlich unmoralisch und dann
auch ziemlich unappetitlich, kurzum eine
Dame entwürdigt sich dadurch, das ist
meine Meinung.
Akt II. (Acht Tage später.)
Lee: Du siehst so nachdenklich aus,
liebes Weibchen.

Arabella: Nachdenklich ist wohl nicht
das richtige Wort. Ich habe Kummer. Aus
unserem Kreise bin ich jetzt die einzige
Dame, die noch nicht von Hobson geküsst
worden ist. Nächstens werden die Leute
mit Fingern auf mich zeigen.
Lee: Rege Dich nicht auf, liebes Kind!
Du bildest lediglich eine rühmliche Aus-
nahme. Uebrigens warst Du ja auch nie in
einem Vortrage dieses Allerweltküssers.
Arabella: Das ist es ja eben; man fängt
an, uns für antinational zu halten. Gestern
sagte mir die Staatssekretärin Hopkins, die
natürlich längst von dem Helden von
Santiago geküsst worden ist, ich scheine
eine Demonstration gegen den amerikanischen
Kriegsruhm zu beabsichtigen.
Lee: Hat sie das wirklich gesagt?
Arabella: Wirklich; und die Frau des
Richters Mac Allans fügte hinzu, es wäre
die höchste Zeit, dass wir unsere un-
patriotische Haltung aufgäben. Ich hätte in
die Erde sinken mögen vor Scham.
Lee: Hm, hm! Dann bleibt also nichts
übrig, als das Versäumte nachzuholen. Ich
gestatte Dir in den heutigen Vortrag
Hobsons zu gehen; ich fürchte nur, Du
wirst kein Billet bekommen, der Andrang
ist zu kolossal.
Arabella: Ich habe mir bereits eine
Eintrittskarte verschafft; sieh hier!
Lee Um so besser. Aber ich bitte
Dich, Liebste, küsse ihn nicht zu leiden-
schaftlich!

Akt III.
Arabella (vom Vortrag bei Hobson nach
Hause kommend): O Gott, o Gott, warum musste
das gerade mir passiren! o ich Unglückliche.
Lee: Sprich, was ist geschehen? o ich
ahne: gewiss hat er Dich zu stürmisch ab-
geküsst.
Arabella: Im Gegentheil, er hat mich
überhaupt nicht geküsst! nicht geküsst vor
einem Auditorium von fünfzehnhundert
Personen! O, ich bin entehrt!
Lee: Ja, wie konnte er nur?
Arabella: Mir auch unbegreiflich. Lass
Dir erzählen: als wir Damen vor ihm defi-
lirten, nahm er jede einzelne wie gewöhnlich
um die Taille, zog sie an sich und küsste sie
ab. Endlich kam die Reihe an mich. Ich
spitzte schon die Lippen, da machte Hobson
eine abwehrende Bewegung, als ob er sagen
wolle: „nein, diese nicht!“ schob mich sanft
zur Seite und wandte sich der nächsten zu;
(schluchzend) diesen Affront überlebeich nicht!
Lee: In der That, höchst unverantwort-
lich! direkt skandalös!
Arabella: Gewiss bin ich ihm nicht
hübsch genug gewesen!
Lee: Ich werde den Geschmack dieses
säubern Helden schon zu korrigiren wissen;
ich hätte Lust, ihn zu einem amerikanischen
Duell herauszufordern!
Arabella: Dadurch wird ja der Skandal
nur noch schlimmer; nur kein Duell, ich
bitte Dich, Edward!
Lee: Ja, soll ich denn diesen unerhörten'

LUSTIGE BLÄTTER

3.

No. 2.
 
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