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Wie ich Schriftsteller wurde.

Mein alter Schulfreund Reinhold Mühmel,
den ich gestern zufällig traf, erinnerte sich
gleich wieder mit Freuden an die Thränen,
welche die ganze Klasse zu lachen pflegte,
wenn der Lehrer meine deutschen Aufsätze
vorlas. Da mich nun Mühmel sofort fragte:
„Nu sage aber mal blos: wie bist Du denn
Schriftsteller geworden?“ ist es für mich die
höchste Zeit, meine Memoiren zu schreiben.
Auf der Schule nahm ich stets mit dem
letzten Platze vorlieb; ich mochte mich eben
nicht vordrängen. Kaum war jedoch der
Enkel meines ersten Lehrers pensionirt, da
verliess auch ich die Schule und ging ans
Studium, und zwar beschloss ich, Jurist zu
werden, weil ich fühlte, dass ich dazu
passe, wie der Igel aufs Auge.
Das Studiren ist äusserst einfach. Man
begiebt sich zunächst zu einem freundlichen
Manne, dem Herrn Rektor, und bezahlt ihm
viel Geld; darauf schreibt dieser den Namen
in ein dickes Buch, und man ist „immatri-
kulirt“. Dann begiebt man sich zu einem
etwas weniger freundlichen Manne, dem
Herrn Dekan, bezahlt ihm etwas weniger
Geld und wird von ihm „inscribirt“. Beides
thut kaum halb so weh wie das Impfen.
Endlich begiebt man sich zu einem dritten
Manne, der furchtbar unfreundlich ist —
denn er ist Königlicher Beamter — und be-
zahlt ihm furchtbar viel Geld. Dafür hat
man das Recht, die Vorlesungen, welche
man dabei bezeichnet hat, ein halbes Jahr
lang zu schwänzen. Will man sie aber
hören, so muss man sich erst durch hart-
näckige Faustkämpfe einen Platz erobern.
Da ich aber sehr weichnäckig bin, Hess ich
mich auf Derartiges nicht ein,sondern wandelte
Morgens, Mittags und Abends in eins der
freundlichen Häuser in der Nähe der Uni-
versität, in denen man nur das Bier zu be-
zahlen braucht und das Studium umsonst hat.
Als ich so mich hinreichend vorbereitet
fühlte, meldete ich mich zum Examen. Zu-
nächst wurde mir die Aufgabe gestellt, einen
von mir selbst gewählten Rechtsfall schrift-
lich zu bearbeiten. Ich dachte mir nun

Ich kam bei meinem Wandern
Auch durch Marseille einmal,
Da sang auf einer Gasse
Ein Kind von Südlands Rasse,
Doch anders als die Andern,
Ein ernstes Madrigal.

Man sah, sie war der Mädchen
Und Knaben Ideal,
Besonders doch die Knaben
Schien sie am Band zu haben;
Ich sprach: Die führt am Fädchen
Die Welt wohl noch einmal.

folgenden Fall aus: „Der Klempner Zappatz,
der seit über sieben Jahren von seiner Ehe-
frau getrennt lebt, cedirt an seinen Freund,
den Leineweber Knuspel, alle seine Rechte
aus der Ehe. Dieser will infolgedessen auf die
Ehefrau eineHypothekaufnehmen; dieEhefrau
wendet aber ein, die Ehe sei bereits verjährt.“
Bei der Bearbeitung dieses Falles setzte
ich zuerst auseinander, dass er ungeheuer
schwierig sei, erörterte dann, wie er noch
komplizirter werden könnte, und rieth zum
Schlüsse den Betheiligten, sich in Güte zu
einigen, wobei ich durchblicken Hess, dass
es mir auf drei Mark auch nicht ankäme,
wenn die Sache dadurch aus der Welt ge-
schafft würde.
Bald darauf wurde ich zur mündlichen
Prüfung vorgeladen. Als ich das Prüfungs-
zimmer betrat, sah ich mich dem Präsi-
denten, zwei Professoren und noch einem
Herrn gegenüber, der seine Existenz-
berechtigung durch seinen Frack darthat.
Alle vier blickten mich mit fünf aus Scheu
und Bewunderung gemischten Blicken starr
an; ich sage: mit fünf Blicken, denn ein
Professor schielte.
„Also Sie sind es?“ sagte endlich der
Präsident.
Jawohl, ich sei es, erwiderte ich höflich.
„Er ist es! Er ist es!“ murmelten die
beiden Professoren und nickten sich mit
ihren kahlen Schädeln intensiv zu, sodass
ich mich schon freute, sie würden mit ein-
ander ein wenig Butzköpfchen machen; es
war aber wieder nichts.
Der Präsident fuhr dann fort: „Bei dem
eigenthümlichen Ausfall Ihrer schriftlichen
Arbeit haben wir beschlossen, Ihnen nur
drei Fragen vorzulegen. — Sie sind doch
damit einverstanden?“
„Jawohl, Herr Präsident!“ erwiderte ich.
„Fühlen Sie sich aber auch heute im
Stande, Ihre — ähem — Gedanken klar aus-
zudrücken, oder sollen wir die Prüfung auf-
schieben?“ fragte darauf der eine der Pro-
fessoren.
„Jawohl, Herr Professor!“ entgegnete ich.
„Hm! Hm!“ murmelten alle Vier und
schüttelten ihre Köpfe.
„Nun,“ begann der zweite Professor,
als sie der Meinung zu sein schienen,
die Köpfe genug geschüttelt zu haben,
„können Sie mir den Unterschied sagen
zwischen Unschuld und Grundschuld?“
„Jawohl, Herr Professor!“antwortete
ich wieder.

„Nun, und wie ist der Unterschied?“
fragte er weiter.
Ich wandte mich an den Präsidenten
und erklärte, ich müsse gegen diese Frage
Verwahrung einlegen; da wir vereinbart
hätten, dass ich drei Fragen beantworten
sollte und ich dies bereits gethan habe,
litte es mein Gewissen nicht, noch weiter zu
antworten.
Wieder sahen meine vier Widersacher
erst mich und dann sich gegenseitig lange
starr an; endlich murmelte der vierte Herr,
um doch auch etwas zu murmeln: „Da wird
man entwaffnet.“
Der Präsident klingelte und sagte zu
dem eintretenden Diener: „Helfen Sie dem
Herrn in den Paletot.“ Ich glaubte dies als
Andeutung, dass die Prüfung beendet sei,
auffassen zu sollen und verliess, verfolgt
von den kopfschüttelnden Blicken der Vier,
das Zimmer.
Draussen zog mir der Diener einen
Paletot an, und obgleich mir dieser etwas zu
gross war, war es mir doch recht angenehm,
denn ich hatte ziemlich gefroren, als ich
vorher im blossen Frack durch die Strassen
gegangen war.
Nachmittags brachte mir der Diener
einen Brief des Präsidenten in die Wohnung.
Als ich mich höflich nach dem Befinden
der Herren erkundigte, erzählte der Diener
mit trüber Miene: Ach! Es sei ein Leiden;
der eine Professor sei nach meinem Weg-
gange in Weinkrämpfe verfallen und der
andere habe sich hinter einem Bücherregal
versteckt, aus Furcht, ich könnte wieder-
kommen; was aber das Schlimmste sei, der
Präsident fluche schon seit zwei Stunden
wie ein Meerschweinchen, weil er seinen
Paletot nicht finden könne.
Ich bedauerte lebhaft, keinem der drei
Herren helfen zu können, und las dann den
Brief. Darin wurde mir der Rath ertheilt,
doch lieber einen Beruf zu ergreifen, zu
dem weder Fähigkeiten, noch Kenntnisse,
noch Fleiss erforderlich wären. —
Und so bin ich denn Schriftsteller
geworden, m. sch.



Gervaise war ihr Name. —
Als ich sie wieder sah,
Da stand sie auf der Bühne
Mit königlicher Miene,
Als meistgenannte Dame
Der grossen Opera.
Was sagt’ ich Dir, Gervaise?
Ich prophezeite gut.
Verrückt macht sie die Männer,
Die Laien und die Kenner.
Vor dieser Marseillaise
Zieht jeder seinen Hut.

8

LUSTIGE BLÄTTER.

No. 2
 
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