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Wir zogen los. Da es noch sehr früh war,
waren wir die Ersten im Saal. Einigermaassen
befremdet sah sich Julius in dem Raum um.
„Ich habe mir das neue Künstlerhaus
schöner vorgestellt,“ meinte er, „das sieht ja
hier aus, wie unser Camminer Gesang-
vereinszimmer.“
„Nimm mir’s nicht übel, Julius,“ rief
ich, „aber Du redest wie Du’s verstehst.
Was Du hier siehst, ist ja nur Dekoration.
Darunter ist der eigentliche Stil des Künstler-
hauses verborgen, der etrurisch-lappländisch
ist, also zur Hohenstauffenzeit noch gar
nicht existirte.“
Julius sah mich an und es wollte mir
so scheinen, als ob plötzlich ein Fünkchen
von Misstrauen in seinen Camminer Jüng-
lingsaugen auftauchte.
„Und was ist das hier?“ fragte er, auf
ein amerikanisches Fahrradplakat deutend,
das an der Wand hing. „Existirte Amerika
und das Radeln schon zur Hohenstauffen-
zeit?“
„Das,“ erwiderte ich schnell, „ist eben
der sonnige Künstlerhumor, der sich in
Anachronismen gefällt.“
Inzwischen begann der Saal, sich mit
lauter sonnigen Künstlern zu füllen. Es
kamen Clowns, reisende Engländer, Bimmel-
Bolle, Schützenliesl, die Barrisons, der alte
Fritz, Heilsarmee-Mädchen, preussische Leut-
nants, Spreewälderinnen, Postillone u. s. w.
Die Sache schien Juliussen immer zweifel-
hafter zu werden.
„Wie ich merke, sind wir Beide hier die
einzigen Hohenstauffen,“ raunte er mir zu,
„und wir fangen thatsächlich an, Aufsehen
zu machen.“
Allmählich hatte sich wirklich ein
Kreis um uns gebildet, der sich be-
mühte, den Charakter unserer Masken
zu ergründen.
„Aeppelfatzke!“ riefEiner mir zu.
„Dollgewordner Aujust!“ redete
ein Anderer Julius an.
„King-Bell!“ „Jrossmogul von
Kleen-Pankow!“ „Dalldorfer Logen-
brieder!“ „Patent-Aujuste!“
Alle diese Ein- und Ausfälle
sonniger Künstlerlaune regneten auf
uns herab. Aber nicht nur regnen,
auch schneien sollte es noch. Das
Comitee vertheilte künstlicheSchnee-
bälle, und bald sah die Gesellschaft
aus, wie eine Nordpolexpedition.
Das war zu viel. Mit durch-
bohrendem Blick sah mich Julius

an. „Seit wann schneit es denn im
Mai?“
„Lieber Julius,“ sagte ich achselzuckend,
„wende Dich an Petrus, ich habe das Wetter
nicht gemacht. Uebrigens ist auch dieser
Schnee historisch echt, denn es ist er-
wiesen . . .“
„Aber das ist denn doch zu lächerlich,“
unterbrach er mich. „Glaubst Du mir etwa
immer noch Vorreden zu können, dass wir
hier auf einem Maienfeste zur Zeit der Hohen-
staufifen sind? Ganz so dumm, wie Du aus-
siehst, bin ich doch nicht.“
„Das wäre auch schlimm,“ antwortete ich
begütigend, denn ich wollte noch einen Spass
haben. Unweit von uns stand ein dicker
Bürgerwehrmann und fuchtelte mit seinem
Säbel.
„Anton, steck’ den Degen ein!“ sprach
ich zu dem Dicken. „Ich stelle Dir hier
meinen lieben Vetter Julius vor, altes Haus.
Sei gemüthlich und unterhalte Dich ein
bischen mit ihm.“ Und Juliussen flüsterte
ich zu: „Das ist Werner!“
„Machen wir!“ rief der Dicke und schlug
Julius auf die Schulter, dass er beinahe umfiel.
Nun gab es zu meinem grössten Gaudium
folgende Unterhaltung zwischen den Beiden.
„Welche Arbeit beschäftigt Sie jetzt?“
fragte Julius.
„Schlachten, immer noch!“ antwortete
der Dicke.
„Reiterschlachten?“ fragte Julius.
„Nee, Schweineschlachten,“ antwortete
der Dicke.
„Dann haben Sie wohl Ihre Richtung
geändert?“ fragte Julius.

„I wo, ick wohne immer noch Berlin O.,
Grosse Frankfurterstrasse,“ antwortete der
Dicke.
„Da haben Sie es doch ein bischen weit
nach der Bellevuestrasse,“ meinte Julius.
„Ja, ja,“ sagte der Dicke, „det is wahr.
Da hab’ ick noch jar nich dran jedacht.“
„Wie oft müssen Sie denn nach der
Bellevuestrasse?“
„Ick? jar nich. Wat soll ick denn in die
Bellevuestrasse?“
„Sind Sie nichtVorsitzender desVereins?“
„Bin ick, aber wir tagen doch hier in die
Pallisadenstrasse.“
„Wer tagt hier?“
„Na wir, der Verein ,Quietschverjnügt4.“
Das warderMoment,woich es fürgerathen
hielt, mich zu drücken. Unbemerkt gewann
ich den Ausgang, ging nach Hause, legte mich
auf’s Sopha und schlief, befriedigt von meinem
gelungenen Streich, bald ein, Juliussen seinem
weiteren Schicksal überlassend.
Aber ein böses Gewissen ist ein schlech-
tes Ruhekissen. Nach einigen Stunden er-
wachte ich wieder. Es war gegen sechs
Uhr. Julius war noch nicht da.
Besorgt machte ich mich auf, ihn zu
suchen. Wer weiss, in welche Hände er
gerathen war, wer weiss, ob er nicht, fremd
in Berlin, wie er war, auf den Strassen umher-
irrte und meine Wohnung nicht wiederfand.
Zuerst also nach dem Festlokal. Ein
ohrenbetäubender Lärm klang mir entgegen.
Das Fest schien auf seinem Höhepunkt an-
gelangt zu sein. Und dort, wo der Radau
am grössten war, stand Julius, Arm in Arm
mit dem Präsidenten in einem Kreise von
etwa zwanzig Personen. Alle sangen:
„Ist denn kein Stuhl da — für meine
Hulda“. Und Julius schlug den Takt
dazu mit einer leeren Weinflasche.
Sein Cylinder war aufgetrieben,
aber seine Miene glänzte vor Zu-
friedenheit.
Wann und wie er heimgekommen
war, wusste er am anderen Tage
selbst nicht mehr. Aber er verzieh
mir Alles.
„Glaubst Du, dass sie auf dem
,Maienfest zur Zeit der Hohen-
stauffen1 auch so vergnügt gewesen
sind?“ fragte er mich.
„Nein,“ antwortete ich, „ver-
gnügt war man gewiss auch zur Zeit
der Hohenstauffen, aber quietsch-
vergnügt4 ist man erst seit der
Zeit der Hohenzollern.“ K. t.


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LUSTIGE BLÄTTER.

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