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Eine nette ßeseheeitung.

Der Schauspieler Philipp Knecht
trifft seinen vorgesetzten Bühnenleiter, den
Herrn von Tiefthal auf der Strasse und
redet ihn an: Verzeihung, Herr Direktor,
ich hätte eine Bitte an Sie. Ich diene Ihnen
schon so lange, Sie waren, wie ich annehme,
mit mir in der Hauptsache zufrieden, beim
Publikum bin ich beliebt, ich hebe hervor,
dass ich mehrfach für erkrankte Kollegen
eingesprungen bin, und da wollte ich mir
die Frage erlauben, ob Sie mir nicht eine
Gratifikation bewilligen möchten.

Direktor: Gratifikation? — ausweichen
Anlass?

Philipp Knecht: Es ist ja Jahrhunderts-
anfang, Herr Direktor.

Direktor: Das Prinzip der Gratifi-
kationen erkenne ich zwar nicht an, aber weil
Sie es sind und weil Sie mich gerade in
guter Laune treffen, so sei es. Wäre Ihnen
mit hundert Mark gedient?

Philipp Knecht: Ich hatte eigentlich auf
mehr gerechnet, aber schliesslich, wenig ist
mehr als nichts, es wird alles dankbar an-
genommen

Direktor:So kommen Siemit auf's Direk-
tionsbureau, wir können das sofort reguliren.
*

(Auf dem Bureau.)

Direktor: Was wollten Sie doch gleich,
Herr Knecht?

Philipp Knecht: Sie hatten mir hundert
Mark versprochen, die ich hier in Empfang
nehmen sollte.

Direktor: Ja richtig! da können wir
gleich abrechnen. Sie wissen doch, dass
Sie noch in meiner Schuld sind?

Philipp Knecht: Ich in Ihrer Schuld?
Das muss wohl ein Irrthum sein.

Direktor: Sie scheinen das neue
Theaterhausgesetz des Deutschen
Bühnenvereins doch nicht genügend
studirt zu haben, sonst würden Sie es wissen.
Ich werde Ihnen deshalb die auf Sie bezüg-
lichen Bestimmungen jetzt vorlesen. Setzen
Sie sich und stecken Sie sich eine Cigarre an

Philipp Knecht: Danke sehr, ich
rauche nicht.

Direktor: Also hören Sie! § 5 des
Hausgesetzes besagt zum Beispiel, dass alle
Vorstellungen und Gesuche, welche von den
Bühnenmitgliedern an den Bühnenleiter ge-
richtet werden, schriftlich anzubringen und
im Theaterbureau einzureichen sind. „Völlig
ungehörig ist es, Gesuche dem Bühnenleitei
auf der Bühne, in dessen Loge, auf der
Strasse, in einer Privatwohnung, oder bei

zufälligem Zusammentreffen vorzutragen."
Diese Ungehörigkeit haben Sie heute be-
gangen, indem Sie mich wegen einer Gratifi-
kation bei zufälligem Zusammentreffen auf
der Strasse ansprachen. Nun heisst es in §3
der Bestimmungen: „Wer den Vorschriften
dieses Theatergesetzes nicht nachkommt,
verfällt, falls nicht letzteres eine andere
Strafe androht, in eine solche bis zu 5 Tages-
gagen." Sie haben, wenn ich nicht irre, bei
mir dreihundert Mark monatlich?

Philipp Knecht: Allerdings, aber . . .

Direktor: Macht zehn Mark pro Tag,
mithin beträgt diese Strafe fünfzig Mark.
Notiren wir das einstweilen.

Philipp Knecht: Ich bin starr, Herr
Direktor!

Direktor: Ich will es vorläufig uner-
örtert lassen, ob das dienstwidrige Starr-
werden in Gegenwart des Vorgesetzten statt-
haft oder strafbar ist. Hingegen muss ich
Ihnen den § 17 in Erinnerung bringen, welcher
besagt: „Das Essen und Trinken ist sowohl
in den Bühnenräumen als in den Garderoben
unstatthaft und bis zu einer achtel Tages-
gage verboten." Es ist mir berichtet worden,
dass Sie allabendlich in der Garderobe Ihren
leiblichen Gelüsten fröhnen. Stimmt das?

Philipp Knecht: Herr Direktor, ich
war mit Einrechnung der Proben durch-
schnittlich zehn Stunden täglich im Theater,
da kommt man ja von Kräften, wenn man
nichts zu sich nimmt. Natürlich habe ich mir
da immer ein belegtes Brödchen mitgebracht.

Direktor: Belegt mit?

Philipp Knecht: Gewöhnlich mit Wurst.

Direktor: Wurst verschlimmert die
Sache. Wurst in der Garderobe streift ans
Verbrechen. Und diesen Frevel haben Sie,
wie Sie selbst einräumen, täglich verübt. Sie
sind fünf Jahre an meinem Institut, das
macht, das Jahr zu dreihundert Theatertagen
gerechnet--können Sie gut kopfrechnen?

Philipp Knecht: Nein, Herr Direktor.

Direktor: Aber ich. Sie hätten nach
§ 17 die Summe von 1875 Mark Strafgeld zu
zahlen. Da ich aber, wie schon bemerkt,
heute sehr gnädiger Laune bin, so will ich
Sie nur mit einer Quote, nämlich mit 800
Mark belasten, vorausgesetzt, dass Sie sich
künftig, soweit der Theaterdienst in Frage
kommt, das Essen und Trinken abgewöhnen.
In dieser Reduktion sind bereits diejenigen
Abende mitberechnet, an denen Sie dienst-
frei waren.

Philipp Knecht: Das ist ja allerdings
selten genug vorgekommen.

Direktor: Aber doch häufig genug, um
Ihr Strafkonto empfindlich zu belasten. Sie
haben erst neulich im Zuschauerraum „un-
günstige Stimmung" erregt, was nach
§ 15 in Höhe einer ganzen Monatsgage ge-
ahndet wird.

Philipp Knecht: Wie? ich hätte . . .

Direktor: Jawohl Sie, ich beobachtete
Sie von der Loge aus; Sie sassen in der
fünften Parquetreihe und haben mehrfach
gehustet. Husten ist im Theater beinahe so
schlimm wie Zischen.

Philipp Knecht: Aber ich versichere
Ihnen, dass mir dabei jede Tendenz fernlag.
Ich hatte thatsächlich etwas Halskatarrh und
musste husten.

Direktor: Nach § 91 darf ein unpäss-
liches Theatermitglied überhaupt nicht bei
Vorstellungen erscheinen und wird im Kontra-
ventionsfall mit 5 Tagesgagen gepönt. Das
wollen wir gleich noch hinzuaddiren.

Philipp Knecht: Bitte hören Sie mich
an, Herr Direktor; es ist ja ganz unmöglich,
dass ich an jenem Theaterabend das Publikum
in ungünstigem Sinne beeinflusst habe, denn
ich war von der Vorstellung entzückt und
habe dies deutlich zu erkennen gegeben.

Direktor: Dann muss ich Sie doppelt
strafen, denn Absatz 7 des § 15 verbietet
auch den Beifall im Zuschauerraum seitens
eines Theatermitgliedes bei Höhe einer
ganzen Monatsgage. Diese drei Posten
machen zusammen 650 Mark.

Philipp Knecht: O Gott, ich armer
geschlagener Mann! was wird Emma dazu
sagen!

Direktor: Wer ist Emma?

Philipp Knecht: Meine Braut. Wir
wollten in vier Wochen Hochzeit machen,
aber nun wird wohl nichts daraus werden.

Direktor: Wann haben Sie sich denn
verlobt?

Philipp Knecht: Während meines
Sommerurlaubs in Ems.

Direktor: Da muss ich Ihnen doch den
§ 93 vorlesen: „Wer einen ihm zu einem
bestimmten Zweck bewilligten Urlaub ander-
weitig verwendet, verfällt in eine Strafe bis
zur Höhe der halben Monatsgage." Sie
hatten den Urlaub zum Brunnentrinken be-
kommen; da Sie ihn zum Verloben ver-
wendet haben, zahlen Sie 150 Mark. Rechnen
wir hierzu noch 50 Mark wegen der Wider-
setzlichkeit von vorhin . . . Sie besinnen
sich, ich befahl Ihnen, sich eine Cigarre an-
zustecken, und Sie weigerten sich ... so
ergiebt sich ein Totale von 17C0 Mark.

Philipp Knecht: Das ist ja eine nette
Bescheerung!

Direktor: Gut, dass Sie mich daran er-
innern: Ich hatte Ihnen ja 100 Mark Grati-
fikation versprochen; die sollen Sie haben,
lieber Freund, ich schreibe Ihnen die Summe
sogleich gut, Sie haben mithin nur noch
1600 Mark Strafe zu entrichten.

Philipp Knecht: Entsetzlich!

Direktor: Was ist da weiter entsetz-
lich? Noch nicht einmal sechs lumpige
Monatsgagen, das ist alles. Ein Bonvivant
wie Sie darf das nicht tragisch nehmen. Und
jetzt gehen Sie nach Hause und brauen Sie
sich einen Punsch, dabei werden Ihnen die
Grillen schon vergehen. Wünsche ver-
gnügte Feiertage! m.

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LUSTIGE BLÄTTER

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