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Er war wie die Andern geboren,
Gebaut, wie die Andern sind,
Doch unsere Grossmütter schworen
Es war ein ..Wunderkind".

Und einer. — einer mit tangen
Sprach: ,,Hei! deinem Genius!"
Und gab ihm auf beide Wangen
Den Paganini-Kuss.

Er spielte mit sieben Jahren
Die Geige wunderbar,
Die Hörer kamen in Schaaren
In kurzem und langem Haar.

Trug kurze Sammetkleider
Und Löckchen hinterm Ohr,
Hiess eigentlich Hänschen Schneider
Und als Künstler Giovanni Sartör.

Hat reizende Grübchen besessen
Und Augen blau und gross,
Und enthusiasmirte Prinzessen,
Die zogen ihn gern auf den Schooss.
Sie sprachen: ,,Mag Gott dich behüten
Dich und deine Viotin'i"
Sie schenkten ihm Zuckerdüten
Und herzten und küssten ihn.

Die Jahre gingen geschwinde,
Zeit, Glück und Gunst zerrann,
Da ward aus dem Wunderkinde
Ein armer, alter Mann.
Ihn hatte das Schicksal mit Tücken
Verschont, verhätschelt nicht,
Ihm bogen die Jahre den Rücken,
ihm krümmte die Finger die Gicht.

Gram grub in seine Miene
Den tiefen Leidenszug,
Da er seine Violine
Zuletzt ins Leihhaus trug . . . .
Dann las er mit müden Blicken
Und las Tag ein, Tag aus
Die alten, vergilbten Kritiken
Am Fenster im Armenhaus.

Ja der König sogar, der König
Hört ihn mit der Kön'gin zusamm',
Er schlief dabei nur ein wenig,
Nicht, wie sonst, durch das ganze
Programm.
Er legte dem Bübchen die Rechte
Auf'sHaupt, nach der Könige Brauch,
Undseufzte bedeutsam: ,,tch möchte,
DerKronprinz könnte das auch !"-


Und als ihn jüngst, lächelnd und
heiter.
Der Tod im Lehnstuhl fand.
Da hielt er von Hänschen Schneider
Das erste Programm in der Hand.
im Armenwinkel haben
Ein Grab sie ihm geschenkt;
Das Hänschen war längst be-
graben,
Eh' sie den Hans versenkt.
 
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