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Ein Abenteuer im türkischen Grenzland,

Personen:
Miss Elten Jone, amerikanische Sen-
sations-Sclniftstellerin.
MissKitty, ihre Gesellschafterin.
RinalfloKinalditsch, Räuhethnnpt-
Erste Scene.
(Im Reisewagen.)
Miss Ellen. Sehen Sie noch immer
nichts?
Kitty. Nicht das Geringste. Die ganze
Gegend scheint wie ausgestorben. Welch
feierliches Schweigen in dieser grossarligen
Landschaft! Sehen Sie nur diese zackigen
Berge!
Miss Ellen. Wir sind doch nicht hier-
her gekommen, um Landschaftsstudien zu
treiben. Für lyrische Stimmungen bin ich
nicht zu haben. Dafür werde ich auch nicht
vom „New-York-Herald" bezahlt. Ganz im
Gegentheil. Ich brauche positive Erlebnisse
für zweihundert Feuilleton-
spalten, die nachher in Buch-
form erscheinen sollen. Der
Verleger in New-York
wartet schon auf das Manu-
scriptmeines selbsterlebten,
authentischen Entführung-
Romans.
Kitty. Wenn aber Nie-
mand kommt, um Sie zu
entführen?
Miss Ellen. O, das
wäre entsetzlich, garnicht
auszudenken! Dazu macht
man die kostspielige Reise
bis an die türkische Grenze!
Man denkt, hier muss es
von Räubern wimmeln, von
fürchterlichen Wegelage-
rern, bei denen man die
Romantik an der Quelle
schöpfen kann. Und wie ist
es, wenn man herkommt? Alle zwei Minuten
ein harmloser Flirt, der seine Schafe auf
die Weide treibt, und seit einigen Stunden
nicht einmal so einer. Nehmen Sie einmal
das Fernglas ans Auge; vielleicht ent-
decken Sie doch irgendwo irgend einen
verwegenen Strolch mit einer Donner-
büchse. Ich sage dann dem Kutscher, dass
er halten soll.
Kitty (blickt durchs Glas). Wahrhaftig, da
sehe ich einen Atann, er hat ein Gewehr um
die Schulter...
Miss Ellen. Na endlich! Da hätten
wir die Exposition des Romans.
Kitty ... er trägt Uniform, es scheint
ein Landgensdarm zu sein . . .
Miss Ellen. Kutscher, Trab! Wir
dürfen uns von diesem Menschen nicht ein-
holen lassen, — er wäre im Stande, uns
seinen Schutz anzubieten, und dann wäre
ich verloren! — Gott, was für ein verwahr-
lostes Land! Da fahren zwei alleinreisende
Damen tagelang, ohne auf die mindeste
Unsicherheit zu stossen; ich werde mich
aber beim nächsten Vali beschweren! Und
auch beim amerikanischen Consul: das sind
ja Zustände, bei denen eine Schriftstellerin
Beruf und Brod verlieren kann!

Zweite Scene.
Rinalditsch, der Räuberhauptmann
(bricht bei einer Wegebiegung mir seinen Spiess-
gesellenhervorb Halt da! ergebt Euch!
Miss Ellen. O herrlich, Räuber! echte
Räuber! — aber ihr müsst auf uns anlegen!
Rinalditsch. Nicht nöthig; ihr seid in
unserer Gewalt.
MissEllen. Selbstverständlich; trotzdem
bitte ich dringend: heben Sie die Flinten und
zielen Sie ein wenig auf uns! es gehört da-
zu! Sonst ist die Sache nicht im Charakter.
Sie müssen nämlich wissen, ich will diesen
Ueberfall beschreiben, Sie alle, meine Herren,
sollen die Helden eines grossen Romans
werden.
Rinalditsch. Ich verstehe. Sie sollen
Ihren Willen haben; (er bebt die AV^tl'e) — ist
es so recht?
MissEllen. Noch etwas höher; Sie
müssen mir ins Auge zielen; — und dann:
machen Sie doch ein etwas grimmigeres
Gesicht. Vergegenwärtigen Sie sich doch

die Situation! Es handelt sich hier um Leben
und Sterben, nicht wahr? Wie soll ich Sie
als bösartigen Briganten schildern, wenn Sie
dastehen, wie ein Gentleman, der auf die
Hühnerjagd geht? — Uebrigens haben wir
uns noch garnicht vorgestellt. Mein Name
ist ... .
Rinalditsch. Das weiss ich längst durch
meine Kundschafter. Ich bin der grosse
Räuber Rinalditsch, der schon fünfzehn
Menschenleben auf dem Gewissen hat. . . .
MissEllen. Mehr nicht? Ich fürchte,
das wird meiner Zeitung nicht allzu sehr
imponiren. Auf alle Fälle gestatten Sie,
dass ich mir dieThatsachenotire. Erzählen
Sie weiter, ich Hxire indess das Material.
Rinalditsch. Dazu werden Sie später
Zeit und Gelegenheit genug haben. Ich
bringe die Damen von hier nach meiner
Wohnung.
Miss Ellen. Wohnung? Pfui, wie spiess-
bürgerlich das klingt. Am Ende gar möblirte
Zimmer mit einer guten Stube dabei! Haben
Sie denn nicht eine richtige Räuberhöhle,
so tief im Gebirge drin?
Rinalditsch. Natürlich eine Höhle, oder
richtiger eine Reihenfolge Von Grotten, aber
ganz wohnlich eingerichtet. Sie erhalten

einen besonderen, zu längerem Aufenthalt
geeigneten Raum.
Miss Ellen. Ach nein,ich möchte lieber
mit Ihnen allen zusammen hausen. Dann
erzählen Sie mir von Ihren entsetzlichen
Thaten, und ich bringe das zu Papier.
Rinalditsch. Das wird sich finden.
Jetzt steigen Sie aus und folgen Sie uns.
Miss Ellen. Eine Frage zuvor: dürfte
ich vielleicht einen Ihrer Briganten mit
meinem Revolver niederknallen? Sie könnten
mich dann fesseln...
Rinalditsch. Keine überflüssigen
Scherze, Miss Jone; wir haben Eile, die
Gensdarmerie ist uns auf den Fersen.
MissEllen. O, dann warten wir noch,
bis sie zur Stelle ist! Das giebt ein Gefecht,
das mein Buch um tausend Dollars werth-
voller macht!
Rinalditsch. Darauf kann ich mich
garnicht einlassen. Vorwärts, meine Damen!
MissEllen. OKitty, ich glaube, ich
werde sehr berühmt werden. Vergessen Sie
nur nicht das Schreibzeug.
Halt, noch eine Hauptsache:
reichen Sie mir den Kodak,
ich muss doch den Räuber-
hauptmann schnell photo-
graphiren.
Rinalditsch. Das ver-
bitte ich mir, Sie verlangen
wohl, dass ich Ihnen zu
meinem Steckbrief Modell
stehe!
MissEllen. Ist schon
erledigt. Dazu braucht man
nureineSekunde. Uebrigens
handelt es sich nicht um
einen Steckbrief,sondern um
eine Titelvignette, die auf
den Einbanddeckel kommen
soll. Ich versichere Ihnen,
Sie werden beim ganzen
amerikanischen Lesepubli-
kum Begeisterung erregen.
Dritte Scene.
dndet'Räuberhöhle.
Rinalditsch. Nun, wie fühlen Sie sich,
Aliss Jone?
Aliss Ellen. Ganz gut, oder vielmehr
ziemlich schlecht; ich finde mein Erlebniss
doch zu wenig gewaltsam, nicht schreckhaft
genug, und das ist mir peinlich. Ich hatte mir
vorgenommen, bei der Ausarbeitung dieses
Räuberromans streng bei der Wahrheit zu
bleiben, aber ich merke, dass ich damit nicht
durchkomme. Wie die Dinge hier liegen,
muss ich erfinden, ausschmücken, hinzu-
dichten, und das strengt an. Eigentlich hoffte
ich doch, dass mir hier etwas Entsetzliches
passiren würde.
Rinalditsch. Seien Sie froh, dass
Ihnen nichts passirt ist.
Miss Ellen. Sie verstehen eben nichts
vom Geschäft. Hätten Sie sich benommen,
wie ein Räuberchef von altem Schlage, wie
ein Bandit von Race, so wäre ich jetzt schon
beim dreizehnten Bogen; so bin ich erst
beim siebenten. Sie sind eben ein Wasch-
lappen! Nicht einmal eine empörende Zu-
muthung haben Sie mir gestellt. Ich bin empört!
Rinalditsch. Dann werden Sie ja
recht froh sein, von hier fortzukommen. Und


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LUSTIGE BLÄTTER

No. 50.
 
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