Pie !pse!
der Ptödsiooi^ep.
Zur Einführun
(Von Prof. Hans Bohr dt.)
)
in neues siccle!
In schwüler Abenddämmerung taucht der goldene Sonnenball aus dem
grünglühenden Meere über den schmerzlüsternen Blumen und schwermuth-
durchseufzten Dolden der gelben Stunde empor und schwingt sich durch den
wehmuthzerkrampften Aether zum Zenith. Wir beugen demüthig unser
Haupt und blicken dabei empor zu jenen wonnedurchschauerten Fixsternen,
welche die sehnsuchtsmüde Sonne umkreisen; zugleich werfen wir unser
Auge auf die gewaltige Leiche des dahingeschiedenen Jalnhunderts. Der un-
vergessliche grosse Pioetz, der uns , schon als Jünglinge zu hehrer Be-
geisterung hinriss, sagt in seinem „AfAvrAv yAvvAvü rA; jzzAyAzz////"
so wahr und richtig: ../<? /7/v 772072 ^07^2? 772072 /7*oA*o". Ja, die Jahr-
hunderte sind alle Brüder und Söhne des Vaters „Chronos". Das verblichene
Kind dieser chronischen Vaterschaft unterschied sich hinsichtlich der Lebens-
dauer nur wenig von seinen Brüdern in spiritueller Bedeutung, besonders in
Bezug auf die Kunst waren diese jedoch nur Waisenknaben gegen das neun-
zehnte Woo/o, zumal als es sich zum_/z72 <72? thürmte.
Waren es jene umwälzenden Erfindungen von der Dampfmaschine bis
zur Bartbinde, waren es jene Männer, von dem ahnungslosen Goethe bis zu
uns, den farbenhöchstempfindlichen Heroen der Kunstgelehrsamkeit, die wir
unsere Namen mit tintenem Griffel in die metallenen Walzen der Rotations-
maschinen gegraben haben, welche der Kunst die Wege wiesen? Nur das
Letzte ist annehmbar. Erst jetzt haben wir eine Kunst. Ich fasse dabei den
Begriff ,,Kunst" kurz zusammen in die Worte: ,,Kunst ist die Wirkung des
abstrakten Willenspotentialvermögens, des entgeistigten transcendentalen
Spiritualfluidiums in enger Verbindung mit pyramidaler Diagnostik der
hypennanganen, sittlich konstruktiv, qualifizirten Conception auf die Hyper-
trophie der diagonalen, discentrischen, proportionalpolygonen Gefühls- und
Geschmacksnerven."
Wem diese Begriffe in Fleisch und Blut übergegangen sind, der wird
die Wahrheit jenes Ausspruchs des genialen „Fatzque": „o'zvf? A?
<y 2/2/02? /o /-rz*7z/zz7v" voll und ganz empfindet].
Den grossen Wendepunkt in der Kunst des verflossenen Jahrhunderts
bezeichnet die Erfindung der quetschbaren Tube. Bis dahin herrschte die
Blase. Was konnte aus der Blase Grosses kommen? Waren auch die Alaler
jener Zeit durch das ewige Farbenreiben selbst geriebener wie unsere
heutigen idealnaiven Ganzgrossen, indem sie allerlei interessante, kuhmelkende
Sächelchen zauberten, so drückte doch die Unbequemlichkeit dem Künstler
den Stift in die Hand, und es entstanden nur Konturgemälde unter grösster
Verachtung der Farbe. So konnte es nicht weiter gehen; die Blasenfrage
musste angestochen werden. Die Tube hielt ihren siegreichen Einzug. Jetzt
war tum im Stande, gewaltige Earbenmassen auf die Leinwand zu wälzen,
Lichter von ungeahnter Dicke aufzusetzen und den langsamen Pinsel durch
die schnelle Mauerkelle zu ersetzen. Das Blasenleiden hatte ein Ende. Als
nun gar zum dreissigsten Male das Malmittel der Alten entdeckt wurde,
gewannen die Bilder ganz von selbst jene in den Annoncen gerühmte
Leuchtkraft, so dass das Publikum sich in den Ausstellungsräumen nur durch
Schneebrillen vor Augenentzündungen schützen konnte.
Zuerst bewegte sich die Kunst allerdings noch in sogenannten Idealen.
Wie eine Erlösung wirkte daher das bahnbrechende Donnerwort der geist-
reichen Philosophin Madame du Titre, welche der süssmeiernden Schau-
spielerin zurief: „Macbethen, Sie drippen ja!"
Der Realismus war geboren, welcher natürlich erst in Frankreich ge-
läutert, der Kunst des letzten Drittels des Jahrhunderts den Stempel auf-
drückte. Der Makro ward zum Mikrokosmos, der Mikrocephale zum Ideale.
Andererseits griff man wieder zurück in die fernste Jugendzeit unseres
Erdballes.
O ihr glücklichen Tage, als jeder Mann noch seine Pferde- oder
Bocksbeine, jedes Weib ihren Fischschwanz hatte! Dank euch, ihr Meister,
die ihr uns jene wieder lebendig macht. Diese Beine und Schwänze sind ein
Aufschrei des dichterischen und künstlerischen Genius, eine Anklage gegen
die O- und X-förmigen Waden- und geknickten Eisbeine, auf denen das
heutige banausische Geschlecht balancirt. Ein weiterer Griff ins Volle war
das Wiederaufleben des Symbolismus. Ich brauche nicht, wie es leider deutsche
Gelehrte zu oft thun, in der Geschichte weit zurückzugehen. Schon die alten
Egypter waren Symbolisten, wir sind ihre Erben. Dem heutigen malenden
Dichter ist die Korrektur der Natur vollkommen gelungen. Was früher nur
dem forschenden Geiste des absoluten Alkoholikers erst nach langer Probe
verschiedener Gährungen und Destillationen offenbar wurde: die Umwerthung
der Farbentöne, das Verschwimmen aller Konturen, das zeigt sich heute dem
nüchternen, naiven neurasthenischen Ganzgrossen in seinen Träumen, welche
er dann auf die Leinwand haucht.-Todte Gegenstände gewinnen Leben,
die Mallatte wird zur männlichen, das Plättbrett zur weiblichen
Idealgestalt, das Höchstgewicht des fast trainirten entfleischten Menschen wird auf
netto 20 Kilo festgesetzt. Die durchgeistigte Alagerkeit feiert ihre Orgien und
ruft mit Spinatzo: Cl?7^/227Po/2?-oo7V32?&o/2?. Alles ist Seele. Wem fallen bei
diesen Entleibungen nicht die hehren Worte des Dichterfürsten ein:
Die Bildhauerei blieb zunächst am weitesten zurück. Man setzte noch immer
die Nase in die Alitte des Gesichts und brachte, leider verleitet durch
Alessungen am menschlichen Körper, immer noch jene banalen Gleichmässig-
keiten, die uns heutzutage so anekeln, an den Fingern an. Das wird nun
anders werden. Der übergelaufene Eierkuchen, die zergehende Stearinkerze
haben den Weg gewiesen, der zum Parnass führt.
Die Ornamentik löste sich ganz vom Althergebrachten. Alan griff
buchstäblich hinein in das volle Alenschenleben und feierte in der styli-
sirten Darmverschlingung die höchsten Triumphe. Zu wahrhaft iiber-
ird scher Grösse erhebt sich das <A? ,w'<?<rA? durch die gewaltige Ent-
deckung des „Ich" als Produkt aus „Er" und „Sie", welches das „Du" sieg-
reich überwunden hat.
Eine grandiose Zeit, in welcher sich der Ichmensch in bewusster, be-
rechtigter Bewunderung und Anbetung Höchstseinerselbst durchgerungen hat,
zu dem majestätischen ../o — oU-sT 77202'/" Jetzt erst sind die Ganzgrossen
geboren, die den Wahrspruch führen: „UA'O 7722? r.v". „Ich lebe mich aus",
und mit staunender Bewunderung sehen wir auf die gründlich Ausgelebten.
Wie ich in meinem so bedeutenden, bahnbrechenden Vortrage über: „Das
künstlerisch Schöne im Alolekül und die Bedeutung der Alikroben für die
Ornamentik" schlagend bewiesen habe, kann das goldene Zeitalter nur eine
Ichperiode der Tertiärzeit gewesen sein. Die Namen Ich-Neumon und Ich-
Thyosaurus sind geradezu Eckpfeiler meiner genialen Hypothese.
Nun ist der Weg frei.
Wir erleben grosse Wendungen; überall reizt man auf .,/o?/7-*7/o7-".
Dem Kunstgelchrtcn wachsen die Flügel. Der abgegebene geistige
Nährwerth der kritischen Erzeugnisse erreicht das „Tropon"; die früheren
Kunstwerke, die bis in die Ecken hinein wohl durchgeführt waren, legten
durch ihre ekelhafte Korrektheit, über die sich nichts Rechtes sagen liess, dem
Geiste Fesseln an. Jetzt erst, wo die Künstler unter minimaler Benutzung
der Fläche in räthselhaften, hypnotischen Gebilden aus verschwommenen
Linien und Farben schwelgen, kann der kritische Uebertnensch Unsterbliches
auf Druckpapier walzen lassen. Noch erwächst uns reichliche Arbeit; es be-
darf in erster Linie der Reform der Käufer. Letztere sind meist banausisch
gesinnte Alenschen mit fünf gesunden Sinnen. Das ist natürlich krankhaft.
Es gilt, ihnen den Blick zu schärfen für geistreiche Verwischungen, geniale
Unsicherheiten und kümmerliche Gedankenfülle; es gilt die Unwissenden in
die Schönheiten der Emanationen göttlicher Gehirnerweichungen einzuweihen
und die grosse „z/o/'y^oz/oo", welche der Banause für eine „d/2'yj" hält, als
einen „AU" zu feiern.
Alögen die Ganzgrossen, welche ihre Werke nur dem reinen Ideal ge-
widmet haben und diese nur unter Aufbietung höchster Gewalt und hinter-
listigster Aufdriugung von Tausendmarkscheinen abgeben, den reformirten
Käufern die Erwerbungen nicht allzu sehr erschweren. Paris war bisher die
geistige Pumpstation, welche die Abwässer ihrer /'.tzz/oz/ in die künstlerischen
Gehirne der Deutschen trieb. Jetzt aber hallt von unseren eigenen tausend-
fältige Frucht tragenden, geistigen Rieselfeldern das „AAyoU 772 GUzvzzoz/v"
durch die Welt. Los vom Fremden! Einigt Euch, ihr Künstler Germaniens
in dem Donnerruf:
„Soyons AHemands!"
*) Soeben entdeckt und gegen Einsendung von 1,50 M. auf 99 ahre zu pachtet] vom Verlag der Lustigen Biätter Dr. Eysier & Co., (O. tn b. H. Bcriin SW. 12.
„Lustige Blätter" No. 5.