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Lustige Blätter: schönstes buntes Witzblatt Deutschlands — 25.1910

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No. 1, Jubiläums-Nummer
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https://doi.org/10.11588/diglit.47454#0025
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SS ift fein gutes Dcutfd), bieS: „Sin-
liegenb überreid)e id) Simen . . ."; Wort-
getreu inS Hod)beutfd)e überfeßt, Vätte eS
bcn Sinn: ,,Sd) liege in tiefem Vriefe brin
— unb überreiche Spuen . . ." £lnb baS ift
nicht gemeint; ber Sinfenber beabficptigt nie,
fiep in bcn 23rief pineinzulegen; ber, ben er
mit bcm 23rief hinein le gen will, ift viel-
mehr ber — Vebaftcur, bem baS „Sin-
liegenbe" überreidjt wirb. 3d) höre bei
irgenbwo ben Sinwanb: „Stein! Der Sin-
fenber will mit feinem Veitrag bie Stcbattion
nicht hmeinlegen, fonbern erfreuen!" 2iuf
biefen Sinwanb entgegne id) bcm Sinwenber:
baS gibt’S and) — aber baS finb bie 2luS-
napmen. 23ci weitaus ben weiften Qlngeboten
ift ber 2lbfcnber überzeugt bavon, baß feine
Sinfenbung nid)tS taugt, aber er benft fid):
„23iclleid)t nepmen’S bie bummen Kerle bod)!"
So benft er. 3d) mufe baS wiffen, benn in
meiner Sigenfcpaft als Sd)riftfteller fd)icfe
id) ja häufig felbft meine Verträge an
frembe Stebaftionen . . .
Diefe fremben Stcbaftionen, wie id) fie
beneibe! 91id)t um meine Verträge — weiß
(Sott! 2lber barum, baß fie feine „Sßiß-
blätter" finb, fonbern ernftpafte 'Sages-
leitungen. Vei ihnen fönnen bie Qualen beS
„Sinliegenb überreiche id) SPnen" nimmer-
mehr jenes grauenhafte Stiefenmaß erreichen,
wie bei einer „humoriftifd)en 3eitfd)rift".
3<h fepe im (Seifte bcn Stebafteur irgenb
einer beliebigen Tageszeitung vor mir: er
öffnet eben einen großen gelben Vriefumfd)lag,
beffen Supalt genau ein SXunb wiegt . . .
ruhig, fad)lid), fühl nimmt er bas Vcanuffript
auS bem Kuvert, befiehl fid) bie Überfcprift
unb bie £lnterfd)rift, unb nach 3tvei Sftinuten
ber ^Prüfung fyat er fdjon bie Überzeugung
gewonnen, baß bie ganze, fünfhunbert Sramm
fepwere Stovelle für baS Vlatt unverwenbbar
ift, weil ihr Stil ben Dilettanten verrät.
Slücflid)er Kollege! Qßcnn meine unglücffelige
Hanb sitternb in baS Sünfbunbert-Sramm-
Kuvert taucht, fo feprt fie nid)t mit einer
pfunbfd)Weren Stovellcttc belaben wieber an
baS Tageslicht jurücf, fonbern beiaffet mit
fiebzepn Vünbeln,bereu jebeS ein paar Dußenb
„flcine Sd)erze" enthält! £lnb baS ift fieper:
wenn unter biefen fed)Spunbertfünfzig Settei-
chen wirflid) eines mit einem br au d)b ar en
Scherz befd)rieben fein feilte, bann verfried)t
fid) biefer einzige verwenbbare Settel bis in bie
unterfte 9Reif)e beteiligen ^afetS, baS id)
als letjtes lefen werbe. Die zwei Minuten,
in benen ber Vebafteur einer Tageszeitung
feine fünfhunbert Sramm „Vtanuffript" prüft,
Wachfen fid) beim Kollegen von ber
humoriftifchen ^afultät leicht zu o'vci
Stunben auS. Qßcnn id) fold) ein großes
gelbeS Kuvert nad) bem zweiten Srtühftücf
„erbrochen" habe, fo fann eS paffieren, baß

id) erft furz vor bem SJtittageffen zur Sefamt-
fritif „ungenießbar" gelange. £lnb in
fold)en fyällen zeigt bie Sefamtfritif fogar
bie leibige Tenbenz, fid) and) noch auf baS
Vcitt ageffen z« erftreefen.
Übcrrafd)t mid) ein Vefud) auS £aien-
freifen bei ber beruflichen Tätigfeit bcS
„SinIäufe"-£efenS unb er fiept fold) ein Kuvert
mit einem ^funb Qßißen vor mir liegen, bann
wirb biefeS Konvolut angeftaunt wie ein
Ding auS einer ganz unmöglichen, abfolut
umgreif baren 2D<ärd)enweIt: „Sibt eS £cutc,
bie in einem Sapr fo viele Sd)erze erfinnen
fönnen?" — Der Sute! er apnt nicht, baß
ber gleiche Sinfenber unS pent in acht Tagen
fd)on Wieber mit einem neuen ^funbfuvert
voll neuer QBiße beglücfen wirb!
Die Herrfd)aften, bie pfunbweife Qißiße
machen, finb in brei Kategorien einzuteilen:
erftenS Humoriften mit angeborener, unheil-
barer Vegabung zum 2lpporiftifd)en; zweitens
ffrupellofc £eute, bie baS 2ßlünbern älterer
„Saprgänge" gewerbsmäßig betreiben;
brittenS ^teißbolbe, bie baS <2Bißemad)en
Zum Verufe erforen unb fid) für biefen feit-
famen Vcruf eine eigene Tecpnif erfunben
paben. Da war zum Veifpiel einer unferer
langjährigen $reunbe, ber betrieb baS QÖSiße-
maepen alS KombinationSfpiel. Sr patte fid)
ein- für allemal gefagt, baß ein Papagei, ein


2luSfunftSbureau unb ein Heiratsvermittler
brei fepr fomifepe Dinge feien; unb mm
jonglierte er mit biefen brei Gegriffen —


jahrelang — jebe 2Lßod)e ein ^funb 9ßiße
Zufammen; mal faß ber Papagei auf bcm
2luSfunftSburcau unb erzählte bcm Heirats-
vermittler etwaS; mal wieber faß ber
Heiratsvermittler auf bem 2luSfunftSbureau
unb erzäplte bem Papagei etwaS; unb
fd)ließlid) faß baS 2luSfunftSbureau auf bcm
^Papagei unb erzäplte bem Heiratsver-
mittler etwaS; auf biefc 2lrt fam jebe
7ßod)e ein ^funb gefdjmacfvoller Nuancen
Zufammen, unb wir fuepten unS ftetS gerne
baS brauchbare unter ben neueften Kombi-
nationen pcrauS. 2lber fcpließlid) wiefen unS

immer zoplreid)cr werbenbe Sufd)riften auS
unferm CeferfrciS barauf hin, baß unfer blatt
auf biefe Qöeife allmäßlid) total verpapageit,



verauSfunftSbürot unb verpeiratSvermittelt
werben müffe; ba fünbigten wir benn unferem
(finfenber trüben HerzenS bie langjährige
3reunbfd)aft. 2Eßir machten ihm zuvor nod)
ben borfd)lag, er folle mal ein paar bconate
lang verfud)en, über einen Kanarienvogel,
eine Hutbürfte unb einen Hppothefcnmafler
Sd)erze zu fombinieren; aber barauf ließ er
fid) nid)t ein, weil er in jahrzehntelanger
2lrbcit feinen ^upagei, fein 2luSfunftSbureau
unb feinen Heiratsvermittler fo lieb gewonnen
patte, baß er ihnen auf feine alten Tage
nicht mehr untreu werben wollte.
SS taucht bie 3v«ge auf, ob ein Qßitj-
blattrebatteur über eine Wirtlid) wißige Sin-
fenbung nod) lad)en fann. Die 2lntwort ift
ein herzhaftes 3<i! DieS 3<i gilt fowopl für
bcn 9?ebatteur, ber cinfam zuhaufe an feinem
Sd)rcibtifd) fißt unb bie „Sinläufe" ber Vor-
prüfung unterzieht, alS and) für baS gefamtc
Vebattionsfollegium, bcm ber gute Scherz
bei ber befinitiven ^Prüfung vorgelefen wirb!
Qßcnn nur bie wirflid) wißigen Sinfenbungen
nicht gar zu feiten wären; prozentualiter ge-
rechnet, maepen fie taum einS vom punbert
ber gefamten „Sinläufe" auS. £lm bie Seit,
bie man auf baS prüfen beS Suten ver-
wenbet, tut’S einem nie leib; fd)abe iftS bloß
um bie Stunben, bie man mit ber Sid)tung
beS maffenpaft auftretenben tOZinber-
wertigen verliert. 3d) beute mandpnal mit
Sd)rccfen, Wie eS eigentlid) einem Qßißblatt-
verleger zumute fein müßte, ber feinen feften,
Zuverläffigen OvebattionSftab befäße unb nur
auf bie Sinfenbungen von „außerhalb" an-
gewiefen Wäre!
2lb unb zu paffiert eS and), baß ein
eingefanbter Scperz, über ben bie ganze
OvcbaftionSforona rcd)t perzlid) gelad)t put,
fid) nad) gcfd)cpenem 2lbbruct alS eine epr-
würbige 2lntiquität erweift; auf berartige
Srwerbungen maepen unS gute Kaffechauc-
freunbe mit befonberem 9ßonnefd)nutnzeln
felbft vom Qvcbafteur einer humoriftifchen
3eitfd)rift fann niept verlangt werben,
baß er ein lüctcnlofcS Vcgifter aller
epiftierenben alten 9Lßiße im Kopfe trägt.
2lber wir tun unfer 9?eöglid)ftcS, inbem wir
bie entlarvten Sinfcnber beS „2UtmaterialS"
wenigftenS für bie Sutunft taltftcUen; aller-
bingS haben aud) in unferer „23rand)e" bie
„2lltl)änbler" ein biefeS 3oll; einer fd)rieb
einmal, nad)bem wir ipm mehrere S^funb-
tuvertS „banfenb" retourniert patten: wenn
wir ipm auS ber beifolgenben Senbung enblid)
etwas abnepmen wollten, fo würbe er als
Honorar gern ein paar alte Saprgänge
unfereS VlatteS in Saplung nehmen. — Sür

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