Der Lustigen Blä tterWerdegang
Von
ALEXANDER MOSZKOWSKL
AVTenn ick schon höre: „Jubilar!“ . . . so beginnt
’’ unser berlinischer Mitarbeiter Lattenfritze eine
seiner zahlreichen Jammerstrophen, m denen er aus
allen Erf reulichkeiten des Daseins, nach seiner nörgelnden
Art räsonnierend, das Negativ entwickelt. Auch der
Chronist kann sich einer gewissen Lamento-Stimmung
nicht erwehren, wenn er sich anschickt, aus dem Ablauf
eines Viertel] ahrhunderts den Jubiläums-Artikel dar-
zustellen. Denn alles Retrospektive ist elegisch, selbst
bei einer Erscheinung, die sich mit der Kokarde der
Lustigkeit schmückt und sie als ein verdientes Ehren-
zeichen trägt. Der Chronist möchte im ersten Anlauf
so gern all die Stimmungen heraufbeschwören und fest-
halten, die m Bild und Text verwandelt den Gesamt-
organismus des jubilierenden Blattes darstellen. Tausende
von Figuren, ,die unsere vergangenen Jahrgänge be-
völkern, haben einmal die Forderung des Tages erfüllt,
mit ihrer Aktualität Nerven berührt, die nur im
Zusammenklang mit bestimmten Erlebnissen vibrieren
konnten. Diese Aktualitäten sind mit ihrer unmittelbai
erfassenden, lebendigen Wirkung nicht zurückzurufen.
Sie sind Gegenstände historischer Betrachtung geworden.
Und wenn ich hier versuche, em kleines Museum unserer
Vergangenheit aufzubauen, so habe ich mit der Gewiß-
heit zu rechnen, daß es nur denen als em ausreichender
Reflex unserer Arbeitsvergangenheit gelten wird, die
selbst die Entwicklungsphasen der „Lustigen Blätter“
mit freundlicher Teilnahme begleitet haben.
Aber deren sind ja glücklicherweise nicht wenige.
Und uns alle eint heute eine neue Aktualität: die des
Jubiläums. Dieser Tag setzt uns mit einem Schlage
auf eine höhere Warte, von der aus wir das ganze
Terrain überblicken können. Er eröffnet ein Gesichts-
feld, von einem Scheinwerfer überstrahlt, der durch
alle Schatten der Vergangenheit dringt. Und so gesehen
werden die Figuren em neues Leben gewinnen: als
Zeugen dafür, daß wir nicht nur zu Jahren, sondern
auch zu künstlerischen Ehren gekommen sind, und als
fröhliche Vorboten weiterer Erfolge m einer Welt des
Humors, des karnkierenden Übermuts, der lebens-
freudigen Grazie und der leuchtenden Farbe.
Die Selbstverständlichkeit, daß alles Organische aus
kleinen Anfängen erwächst, erleidet bei den „Lustigen
Blättern eine Ausnahme. Alles Federvieh kriecht
zwar aus dem Ei, beginnt ab ovo, aber dieses ovum
war hier em Straußen-Ei, denn als em Riese, dem
Format nach, sind die „Lustigen Blätter“ zuerst in
die Erscheinung getreten. Dem Begründer, Dr. Otto
Eysler aus Wien, hatte ursprünglich der Plan vor-
geschwebt, dem Österreichischen Typus in Nord-
deutschland eine Heimstätte zu bereiten, und so gerieten
denn in der Tat die ersten Nummern wie die Blätter
einer Wiener Cafehausplantage, in den Illustrationen
jenen Organen ähnlich, die noch heute vielfach das
Entzücken der Zählkellner an der Donau bilden. E in
gewisser „Schmiß“ war m den Bildern von Anf ang an
erkennbar. Der Persönlichkeitskultus stand im Vorder-
gründe, es kam wesentlich darauf an, den Löwen des
Tages, im Kopf möglichst ähnlich, als Anziehpuppe
für allerhand Maskentrödel zu verwerten. Wiener
Künstler, unter ihnen Theodor Zajaskowski und Fischer-
Koystrand, warfen in leichter Boheme-Laune billige
Phantasien aufs Papier, die Texte in Prosa und Versen
gingen von Anfang an auf die Aktualität los, der sie mit
derben, nicht immer vom besten Geschmack diktierten.
^«rausgcbcr: Dr. (Otto (ßtjolrr in ljamburg.
5ur biilgari|d?cn JniJtciuvabL
Das erste Titelbild der „Lustigen Blätter“.
Von
ALEXANDER MOSZKOWSKL
AVTenn ick schon höre: „Jubilar!“ . . . so beginnt
’’ unser berlinischer Mitarbeiter Lattenfritze eine
seiner zahlreichen Jammerstrophen, m denen er aus
allen Erf reulichkeiten des Daseins, nach seiner nörgelnden
Art räsonnierend, das Negativ entwickelt. Auch der
Chronist kann sich einer gewissen Lamento-Stimmung
nicht erwehren, wenn er sich anschickt, aus dem Ablauf
eines Viertel] ahrhunderts den Jubiläums-Artikel dar-
zustellen. Denn alles Retrospektive ist elegisch, selbst
bei einer Erscheinung, die sich mit der Kokarde der
Lustigkeit schmückt und sie als ein verdientes Ehren-
zeichen trägt. Der Chronist möchte im ersten Anlauf
so gern all die Stimmungen heraufbeschwören und fest-
halten, die m Bild und Text verwandelt den Gesamt-
organismus des jubilierenden Blattes darstellen. Tausende
von Figuren, ,die unsere vergangenen Jahrgänge be-
völkern, haben einmal die Forderung des Tages erfüllt,
mit ihrer Aktualität Nerven berührt, die nur im
Zusammenklang mit bestimmten Erlebnissen vibrieren
konnten. Diese Aktualitäten sind mit ihrer unmittelbai
erfassenden, lebendigen Wirkung nicht zurückzurufen.
Sie sind Gegenstände historischer Betrachtung geworden.
Und wenn ich hier versuche, em kleines Museum unserer
Vergangenheit aufzubauen, so habe ich mit der Gewiß-
heit zu rechnen, daß es nur denen als em ausreichender
Reflex unserer Arbeitsvergangenheit gelten wird, die
selbst die Entwicklungsphasen der „Lustigen Blätter“
mit freundlicher Teilnahme begleitet haben.
Aber deren sind ja glücklicherweise nicht wenige.
Und uns alle eint heute eine neue Aktualität: die des
Jubiläums. Dieser Tag setzt uns mit einem Schlage
auf eine höhere Warte, von der aus wir das ganze
Terrain überblicken können. Er eröffnet ein Gesichts-
feld, von einem Scheinwerfer überstrahlt, der durch
alle Schatten der Vergangenheit dringt. Und so gesehen
werden die Figuren em neues Leben gewinnen: als
Zeugen dafür, daß wir nicht nur zu Jahren, sondern
auch zu künstlerischen Ehren gekommen sind, und als
fröhliche Vorboten weiterer Erfolge m einer Welt des
Humors, des karnkierenden Übermuts, der lebens-
freudigen Grazie und der leuchtenden Farbe.
Die Selbstverständlichkeit, daß alles Organische aus
kleinen Anfängen erwächst, erleidet bei den „Lustigen
Blättern eine Ausnahme. Alles Federvieh kriecht
zwar aus dem Ei, beginnt ab ovo, aber dieses ovum
war hier em Straußen-Ei, denn als em Riese, dem
Format nach, sind die „Lustigen Blätter“ zuerst in
die Erscheinung getreten. Dem Begründer, Dr. Otto
Eysler aus Wien, hatte ursprünglich der Plan vor-
geschwebt, dem Österreichischen Typus in Nord-
deutschland eine Heimstätte zu bereiten, und so gerieten
denn in der Tat die ersten Nummern wie die Blätter
einer Wiener Cafehausplantage, in den Illustrationen
jenen Organen ähnlich, die noch heute vielfach das
Entzücken der Zählkellner an der Donau bilden. E in
gewisser „Schmiß“ war m den Bildern von Anf ang an
erkennbar. Der Persönlichkeitskultus stand im Vorder-
gründe, es kam wesentlich darauf an, den Löwen des
Tages, im Kopf möglichst ähnlich, als Anziehpuppe
für allerhand Maskentrödel zu verwerten. Wiener
Künstler, unter ihnen Theodor Zajaskowski und Fischer-
Koystrand, warfen in leichter Boheme-Laune billige
Phantasien aufs Papier, die Texte in Prosa und Versen
gingen von Anfang an auf die Aktualität los, der sie mit
derben, nicht immer vom besten Geschmack diktierten.
^«rausgcbcr: Dr. (Otto (ßtjolrr in ljamburg.
5ur biilgari|d?cn JniJtciuvabL
Das erste Titelbild der „Lustigen Blätter“.