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Lustige Blätter: schönstes buntes Witzblatt Deutschlands — 25.1910

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No. 1, Jubiläums-Nummer
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https://doi.org/10.11588/diglit.47454#0041
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Routine und mit akademischen Qualitäten der Erfolg
nicht eingefangen werden kann. Hinzutreten muß das
spezifische Genie des Witzblattzeichners, der m Schön-
heit und Laune neue Werte seiner Farbenkunst schafft;
einer Kunst, die nicht die Palme des Museums bean-
sprucht, die aber als Moment-
reflex der Tagesstimmung oder
des beweg'enden Ereignisses
eine explosive Schlagkraft ent-
wickelt. Daß die ,,Lustigen
Blätter“ für die Aufzüchtung
derartiger Talente ein treff-
licher Nährboden gewesen
sind, kann füglich nicht be-
stritten werden.
Die Wiener Gemütlich-
keit freilich, auf die das
Blatt in seinen Anfängen ein-
gestellt war, mußte geopfert
werden, als die Notwendigkeit scharfer Akzentuierung
erkannt war. An Stelle der behaglich - weichen Phäaken-
zeichnerei trat vordringend eine energischere über-
wiegend reichsdeutsche Illustrationskunst. Franz Jüttner,
W. A. Wellner, der früh verstorbene Feodor Czabran,
Lionel Feimnger, Heil emann, (bei früheren Gelegenheiten
auch Th. Th. Heine und Thöny,) Christophe, Gestwicki,
Caspari, Marcus, Koch, Ernst Stern, v. Finetti, neuer-
dings Zille und Leonard sind seitdem die berufenen
Griffelführer des Blattes geworden. Zahlreiche Franzosen
(Leandre, Caran d Ache, Roubille, Does, der auf
französische Technik abgestimmte Grieche Galanis),
Italiener, Skandinavier ergänzten und vervollständigen
zum Teil noch heute den Zeichnerstab. Die Konstruktion

Kory -Towska.


gewisser unaktueller Zeichenspässe harmloser und gemein-
verständlicher Art, die lange Zeit als ein schätzbares
Reservat unseren Bundesnachbarn Kozian, Honna usw.

zufiel, ist seitdem durch die überlegene aktuelle Serie in
den Hintergrund gedrängt worden. Zu deren besten
Erfindern zählen Johann Bahr, Mühlen-Schulte, Scalarini

und Kunze. Das Vizepräsidium der Redaktion erhielten
nach Paul v. Schönthans Ausscheiden: Maximilian Krämer,

Gottwald, Betty Kory-Towska, Dr. R. Presber,
Dr. L. Wulff, M ax Brinkmann, Gustav Hochstetter
und Dr. Paul Kraemer.

In Hochstetters


Indianerspürsinn verfolgt er
Schwäche, um unfe hlb ar auf

und Vershumoresken
prävaliert die Note des
Scharfsinns. Aus jedem
Anlaß der Zeitgeschichte,
zumal aus Berliner Be-
gebenheiten, zieht er mit
nie versagender Treff-
sicherheit die über-
raschendsten Konsequen-
zen. Mit einem wahren
die Fährten menschlicher
Pointen zu stoßen, die

Prosa-

außer ihm keiner vermuten konnte. Und mit meister-
licher Technik versteht er es, seinen Funden glitzernde
Facetten anzuschleifen.
Em ansehnlicher Teil der Regie liegt m den Händen
des Malers Dr. P. Kraemer. Gilt es im Blatt von Fall
zu Fall em Stück Zeitgeschichte darzustellen, so gibt er
in vorbereitenden Anordnungen die Gewähr für eine ge-
schmackvolle Mise en scene. Seme Skizzen sind in vielen
Fällen unsere Szenarien. Manchem Stoff würde der Zeichner
gar nicht beikommen können, wenn nicht Kraemers Findig-
keit und bildnerische Fähigkeit ihm den Weg-
Aus dem Rohmaterial der Begebenheit formt
Grund einer reichen und
schönen Bildung mit versatiler
Einbildungskraft die Modelle,
die sich aus dem platten Niveau
der Wirklichkeit zur künst-
lerischen Symbolik erheben,
und so für den Zeichner zu be-
geisternden Motiven werden.
Seit zehn Jahren nennen
wir Dr. Rudolf Presber Rudolf Presber.
mit Stolz den unseren. Ihn nennen heißt ihn rühmen.
Die Leyer des Arion und das Schwert des Tyrtäos
sind ihm gleich vertraute Instrumente. Der gefeierte
Lyriker, der mit seinen formvollendeten Versen im
Herzen des Empfindenden wie im Kopfe des Denkenden
gleichstarke Resonnanz weckt, versteht es auch die
Pritsche des Ironikers mit sausender Gewalt zu schwingen.
Aber mag dieser Proteus den Lesern als litterarischer R. P.
oder als spottender M. SP. (M irza Spiral) erscheinen, stets
gibt er aus dem Vollen, und selbst m manchen aus zu-
fälligem Anlaß flüchtig hingeworfenen Zeil en Presbers wird
der Kenner die bedeutende Persönlichkeit herausfinden.
Das Programmwort ,,taceat mulier in ecclesia“ ist
in unserer Redaktion niemals anerkannt worden. In
der Person der Schriftstellerin Kory T owska hatten
wir lange Zeit eine wirkliche Redakteurin, deren kluge,
mit literarischem Humor gewürzte Worte sich vor
engerer und weiterer Korona mit Erfolg durchsetzten.

wiese.
er auf


Das politische Bild,
die piece de resistance
der ,,Lustigen Blätter“,
findet m Jüttner seinen
stärksten Vertreter. Die
Reihe seiner Schöpfungen
ergibt eine Galerie, die,
vom Blatte losgelöst, die
Chronik zweier Jahr-
zehnte darstellen würde
und bei aller Komik
dock auch eines über
das Genre hinausragenden
historischen Zuges nicht
 
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