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Lustige Blätter: schönstes buntes Witzblatt Deutschlands — 29.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.19917#0389
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Mein Freund, der Artist.

Ich hatt’ einen Freund an der grünen Spree.

Nicht in Berlin. Weiter oben, in Bautzen.
Der hatte — neben ’ner schnoddrigen

Schnauzen —

Eine heiße Liebe zum Variete,,

Und da er schon mehr als zwanzig Jahr

Und ein vermöglicher Junge war

Und brauchte sein Leben nicht kläglich zu

fristen,

Und da’s ihm auch nicht an Kräften gebricht,
So nahm er bei den ersten Artisten
ln all ihren Künsten Unterricht.

Zunächst mal Reck und Römische Ringe.

Er machte spielend die Riesenschwünge
Und überschlug sich — das war das Finale —
Und zwar mit Absicht mehrere Male.

Dann — dann dressierte er Kakadus.

Sie saßen ihm schreiend auf Schulter und Fuß
Und schossen, wenn er die Weisung gab,
Persönlich kleine Kanönchen ab.

Und bauten aus Klötzchen Pyramiden;

Und flügelschlagend kletterten sie

Und schrien in Tönen, in höchst perfiden:

„Spitzbub“, „Hurra“ und „Wo ist die Marie?“

Dann mied er alles, was Abendländ’sch
Und lernte mit Ungeheuern Spesen
AlsBambus-Jongleur und alsSchlangenmensch

Bei einem Fakir und einem Chinesen.

Die Schlangen krochen aus einem Pott,
Sobald er pfiff, daß sie tanzen sollten.

Er hätte in Indien selbst — bei Gott —

Als eingebor’ner Künstler gegolten.

Und — eine herrliche Reminiszenz —

Was er an der Bambusstange geleistet
Und sich mit tollem Mute erdreistet,

Ward nie übertroffen im Zirkus Renz!

Dann hat er — sein Fleiß ward täglich reger —
Sich wochenlang nach Paris entfernt
Und dort von einem Zambesi-Neger
Das Feuerfressen gründlich erlernt.

Auch kleine Gläser und Lampen-Zylinder
Zerkaut’ er und ward davon immer gesünder.

So Lernt’ er, vergnügt und unverdrossen.

Sein Motto war: „Ich zahl’s und wag’s!“

Da — eines schönen Wintertags —

Hat sich der prächtige Kerl erschossen.

Wie das? So vieler Talente Verweser
Ward er auf das Geistige erpicht
Und nahm mit Eifer Unterricht
Bei einem berühmten Gedankenleser.

Zum erstenmal wollt’ er erproben sein Können
Und lud deshalb zu Schmaus und Wein
Die Freunde, die ihm das Beste gönnen,

Und etliche teure Verwandte ein.

Die sollten ihm als Objekte taugen.

Und als das Wunder der Nerven geschah,
Daß er mittenmang mit verbundenen Augen
Den Gästen unter die Hirnschale sah,

Und als er sah ihre Wünsche liegen
Und ihre Gedanken, nackt und bloß,

Da ist ihm heiß der Ekel gestiegen . . .

So ging halt sein Revolver los.

Und die Moral: Hast du Verlangen
Die Kunst zu erlernen, gut, so tu’s!
Erklettere glatte Bambusstangen,

Dressiere kreischende Kakadus;

Gib Schlangen Konzerte, die nicht recht

geheuer,

Mach am stehenden Recke den Riesenschwung
Und knabb’re zu andrer Belustigung
Vom brennenden Werge das knisternde Feuer.
Das alles hält dich bei Kräften und munter.
Gefahr? Mein Gott, die kannst du besteh’n.
Nur — sollst du dem Nächsten niemals unter
Die haarüberwucherte Hirnschale seh’n.

Ach, bitter rächt solchen Ehrgeizes Fieber
Sich an dem Künstler. Denn solches, mein

Lieber,

Ist zehnmal schlimmer — wohlwollend ge-
messen —

Als Schlangenbeschwören und Feuer-Fressen!

M. Sp.

Die Dompteuse.

„Fräulein Nelly, die Beffie in mir ift erwacht und wird Sie vernichten. Wenn Sie nicht ihre Wut mit
einem Kuj3 befänjtigen.“

„„Sachte! Sachte! Er{f verfuch ich’s immer mit einem Stück rohem Pferdefleifch!““
 
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