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Wclch' cntzückcnde Aussicht fessclt abcr dcn Gefangcnen
an manche Stclle des Fcstungswallcs! Ein weitcö, mit
Flurcn, Wäldern, Bergcn, Flüssen und unzahligen Ort--
schaftcn gefchniücktcs Panorama breitet sich vor ibin aus,
und an einein schöncn Frühling- und Soinincrtage scndet
das dainpfende Thal seine Blüthen- und Bluuiendnfke hcr-
auf, die sich wie die Gedanken und Gefühle der getrennten
Geliebtcn, Frauen, Kinder, Eltcrn nnd Frennde schincichelnd
und kosend uin die Seelc des gefangenen JünglingS und
Mannes legen und freilich oft seines Herzens Schnsucht
nach dcr Freiheit und nach den ihm versagtcn Gütern, statt
zn lindern und zu besänftigen, nur vermehrcn und verstärken,
so daß sie auch nicht dcr Glocken- und Trommelschlag, dcr
ihm den Verlauf seiner Spazierstunde ankündigt und ibn
zum „Einrücken" (der militärische Ausdruck sciner nächsten
Umgebung) rust, sogleich zu verscheuchen vermag.

II.

Das Jnnere der Arrestzimmer. Ankömmlinge.

Gcwöhnlich sind mehrcre Gefangene in einem Zinimcr
beisammen. Wenn dicser Umstand auch viel Mißliches mit
sich führt, da er oft Leute in eine gezwungene Nähe bringt,
die nicht zusammengehören und zusammenpaffeii, so hat er
doch oft das Angenehme und Erwünschte, daß dadurch Leute
in Verbindung gebracht werden, die sich recht gut in cinan-
der zu schicken wiffen und oft auch dcn Grund zu einer auf
späte Lebensjahre hinaus dauernden Verbindung zu legcn
vermag. Wie aber vertreibt man sich die Zeit? Nun —
man liest, schreibt, studiert, musicirt, spielt, malt, versertigt
allerlei Handarbeiten, legt sich unter das Fenster und stellt
seine Beobachtungcn an, die freilich nicht weit über die
Bajonette, die man allenthalbcn im Hofraume sieht (menn
das Fenster dahin blickt) gchcn kvnnen. Der klcinste Um-
stand, den man in der Frciheit nicht zu beachten sür der
Mühe werth hält, bietet hier einiges Jnteresse dar. Es ist,
wie im Leben im Allgcmeinen. Was der Neiche und Wohl-
habende mit den Füßen von sich stößt, da es ihm zu unbe-
deutend ist und er davon in Uebcrfluß und Fülle hat, das
hebt der arme Mann odcr das dürftige Wcib gierig und
in der Meinung auf, als hättcn sie eincn glücklichen Fnnd
gemackt. Tort steht ein mit cineni Dienstmädchen schcrzen-
der Soldat. Ei, wie interessant, besonders wenn die Erschei-
nung neu und hübsch ist. Da holen Mädchen Wasser, das
man den Berg herauf führt. Wirklich — ist das nicht von
großem Jnteresse, zu sehen, wie sie die Schäffer oder Butten
hinstellen, einfüllcn und auf dem Kopfe hinwegtragen? Da
ist cin neuer Offizier cingezogcn mit Familie. Wie viel

Kinder hat cr, Söhne, Töchtcr, wie alt sind sie; sind sie
hübsch, groß, klein? Ah — da geht ja schon cin Töchter-
chen davon. Nicht übel, schnell das Pcrspectiv her. Da
kommt ein Besuch, bcstehend aus mehrercn Hcrren und Da-
men. Wer mögen die wohl sein, woher, zu wem? Und da
lvnimt ein Landjager mit cinem neucn Gefangenen. Die
Fenster öffnen stch. Wer mag es scin? ruft man sich von
diescm und jenem Fenster zu. Wo kommt er hcr? Was
hat cr verbrochen? Wie lange wird er hier bleibcn müssen?
Das sind lauter Fragen von großem Jntercsse und man ruht
nick t cher, biS maii sie alle beantworter hat, indem der Eine
oder Andere einen Vorübergehenden befragt und es dann
alSbald den übrigen Gefangcncii zuruft. Nun gibt es wiedcr
neuen Sroff znr Unterhaliung nnd wird er gar Zinimer-
genvsse, so beginnt eine nene Periode in dcm Lebcn des
bisbcrigcn Zimmcrgcnosscn. Abcr auch Besuche erhaltcn die
Gefangcnen nicht scltcn von theurcn und lieben Angehörigen
und Freundcn, und solckie Tagc sind eiiiigermaßen denselben
Ersatz für vicle, langc, trübe und melancholische Trcnnungs-
stuudcn, und sind eS nm so mehr, wenn die Nachrichten,
die sie bringen, ersrculicher Natur sind, und sind es in dem
Gradc, als sich die Geircnnten liebcn und schätzen. Ja,
gcwiß, Mancher lcrnt im Gefängnisse und derZeit der Tren-
nnng gar Vielcs mchr schätzcn, lieben und achten, was er
früher und in dcr Zeit dcr Frciheit gleichgültiger oder durch
eigene Schuld licblosei behandelte, und gure und erfreu-
liche Vorsätzc treibcn aus dcm sonst stcrilen Bodcn der
Gefangenschast.

III.

Träiime.

Wie ost erscheint dem Gefangencn im Traume die Frei-
heit, bcsonders wenn er vielleicht den Tag über in stillcm
und vcrschlosseiicm Schmcrze um sie trauerte! Dann senkt
sic sich in ihrem lichtstrahlenden Gewande auf den gefange-
nen Schläfer hcrab und berührt leise seine Lippen, und
drückr ihm auf sein sorgenvollcs Haupt den grünen Hoff-
iiungskranz, spricht zu ihm crmuthigcnde und crmunternde
 
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