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Leiden aller Art, dessen Mnnd znsammcngeprefit wie im
Krampfe nniaglicher Schmcrzen anzuschanen war,

„3st's Zufall oder ist's Nothwendigkeit," rief der ein-
same Wandcrer wieder, aus scinem Sinnen erwachend, „ist's
Nothwendigkeit," wiederhölte er langsamer, „dafi ste dabeim,
nicinc nnschnldigen bölden Kinder, mein braves gntes Weib
im Elend nnd Jammcr schmachten nnd verderben mnssen,
wähecnd dicse hier aüf seidencm Lager stch wälwn "»d stck
mästen nnd prassen können? Freilich! — Wir kämpften
sür Wahrbeit, Tugend und Necht, nnd diese hicr spieen nns
dafnr in's Gesicht, schlngen nns in Fesseln nnd warfen nns
in den Kerker, aus dem wir nur wieder eiilkominen sollten,
nm znm Tode zn geben, — Doch cs lebt ein Goti, nnd
ein Tag wird kvnimen, wo . . ,

Ein Uhr schlng es vom St. Petri-Tbnrm und der
blciche Mann nnterbrach sein Selbstgespräch, nni weiter
zn eilen.

„DieZeit ist flnchtig nnd ich habe noch viel vor mir!"
sprach cr; „ich mufi sie vor Tagesanbruch noch sehen nnd
sprechen, und dann will ich meiiien Weg anlreten! — Der
Himmcl helfe und rette uns!" —

Schneller schritt jetzt der Mann dahin und vcrschwand
alsbald himcr den Bäumen, die eine Promcnade beginnen,
welche zwischcn diesem Stadtthcile nnd einer der Vorstädte
gclegcn war.

2.

Zn einer der obcrstcii Manfarden eines alten, mitten
jn eincm der schmutzigsten ungesundesten Sackgäfichen der
Stadr Wolfsheim gelegcnen Hauses lag ein jnnges Wcib
auf elendcm harten Strohlager. —Das Gemach glich ciner
Höblc. — Der dnmpfe Gernch, die schwärzlich grün angc-
laufencn rohcn Kalkwände verriethen die ungesnnde fenchte
Luft, die an dicscm Ortc herrschte. TaS kleine Schicbfcnster
in dem Daebgiebel war mil Hilke von Bindfäden nnd Draht
an dem Gebälkc befestigt, nnd die Thüre des Gemachs hatte
weite durchsickuige Spalten, durch die ein fortwährender
Zugwind über das Lager der Schlafcnden fegte. -— Seltsain
stackicn von dieser Nmgebung einige Gcgenstände ab, die noch
das geringe Meublcment dieser Wohnung bildeten. Dort, der
Vorhang an dcm kleinen Fenster, bestand ans einem Slück
verblichcnen schweren Seidenzengs, das stellenweisc noch
kostbare Franzcn zeigte. Jn der Ecke am Ofen stand ein
Lehnstnhl, desscn zerbrochcnes Gestell von Mahagony und
dessen Scsscl mit braunem Sainmt übcrzogcn war. An den
Wändcn hingcn einc Neihe znm Theil alter beschädigter znm
Theil neuer noch unvollcndcter guter Gemälde. diicht weit
vom Fenster stand eine Stasselei, nebcn der stch Palette nnd
Malertäfclchcn bcfanden. Alle diese Gcgcnstände, obschon
bereits werthlos und abgcnutzt, waren offenbar Ueberbleibsel
ans frühcrcr bcsserer Lage der hier Weilcnden, und mufiten
als solche Aufmerksamkcit crregen in dieser traurigcn Um-
gebung.

„Edmund, mein theurcr Gatte!" lispelte die Sck'läferin
im Traume, „komm' Edmnnd, reiche mir die Hand! Wic
glücklich bin ich, daß ich Dich wieder habe, nach so langer,

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schmcrzlicher Trennnng!" — Eine kurze Pause verstrich,
die Schläferin scbwieg, und ihre Athemzüge jagten hastig
und röchelnd auf nnd nieder.

„Edmund mick friert," rief die Schlafcnde, „hülle mich
wärmcr ein!" — Jedoch Alles blieb still in dem Gemach
uNd keine freundliche Stimme antwortete der flehenden
! Kranken. — Plötzlich erwachte dieselbe. Hastig richtete ste
sich cmpor anf ihrem Lager nnd schaute mit Entsetzen im
Gemach nmher.

„O Gott! barmherziger Gott!" rief sie. „Es war nur
ein Traum, ein süfier, schöner Traum! Doch wie schrecklich
die Tänschung nnn! Jm Kerker, im feuchten, dumpfen Ker-
ker schmachtet er noch, und ich — ich werde ihn wohl nie
wiedersehen! O! wir sind doch sehr nnglücklich! — Was
soll aus diesen hier werden, den nnschnldigen holden Kin-
dern!" Die zärtliche Mutter beugte sich mit schmerzlichem
Antlitz über ihre schlafenden Kinder, die an ihrer Seite
lagen. Sie waren auf Stroh gebettet nnd mit Kleidungs-
stücken aller Art zugedcckt. Der Schlaf der Kinder war
ruhig nnd fest. Der Mond schien hell in's Gemach und
belenchtete das holde Lächeln der schlafenden Kinder. Die
Mutter lauschte aufmerksam ihren regelmäßigen frischen
Athemzügen und ein Lächeln der Wonne flog anch über
ihr gramvolles leidendes Gcstcht.

„Gott der Güte, himmlischer Vater!" betete die Mutter
mit gefalteten Händen: „Wie danke ich Dir! Auch im Un-
glücke ist Deine Gnade noch groß ! — Wie sanft sie schlum-
mern! — Sie wissen Nichts von dem Jammer nnd Elend,
das sie umgibt, und selbst den marternden unbarmherzigcn
Hungcr verschlafen sie lächelnd auf elendem harten Lager. —
Gott der Gnade, Du wirst sie auch beschützen und behüten,
wenn sie einst — mutterlos und ganz allcin sind . . . ."

Ein leises Geräusch, das stch an der Thüre vernehmen
liefi, unterbrach die Betende. Gespannt und voll Entsetzen
heftete die junge Frau ihre Augen auf dic Thüre dcs Ge-
machs, die sich leise öffnete, während eine dnnkle Männer-
gestalt in's Gemach trat.

„Heiliger Gott! be>chütze uns!" rief crschrocken das jnnge
Weib, „wcr ist's? wcr wagt es, so spät noch die Nuhe der
Unglücklichen zn stören?"

„Sei still, gutes Weib! Verrathe mich nichl dnrch dein
Geschrei," antwortetc der Fremdling. „Fürchte Dich nicht,
ein Flüchtling, der dcm Kcrker, dcm Todc enlronnen, ist's,
der bei Dir Znflucht sncht. Jch bin es, Edmnnd, Dein Gatte!"

Unheimlich, wie ein Gespcnst, das dcm Grabe entstiegen,
stand dcr bleiche Mann mit hohlwangigcm Leidensgesicht im
bellen Mondschein da. — Doch die Gattin erhob stch mit
lantcm Frcuderuf von ihrem Lager, sie breitete die Arme
aus nnd nnter lautem Schlnchzen sank sie dem theuern
Gatten an die Brust.

„O dafi ich Dich wiederbabe! Mein — Tranm — mein
Traum! — Nun gehst Du nicht wieder von mir. Bleibe
bei nns, bei Dcinen Kindern! Sich' wie sanft ste rnhen!
— Doch rnhe ans, Du scheinst sehr angegriffen, sehr lci-
dend. Du bist blcich, Deine Gcstalt gebrochen, Dcin Athem
kenchend. O Gott, wie nnglücklich stnd wir! wic glücklich
warcn wir einst!" —

s.k'r '



-r...

-cü —
 
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