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Licht und Schatten: Monatsschrift für Schwarz-Weiß-Kunst und Dichtung — 2.1911-1912

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No. 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.73708#0066
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Fortsetzung der Beilage „Aus alten Tagen"
Unser Heyland in der Inquisition. Als ich das erste mahl davon reden
hörte, unterstund ich mich nicht zu sagen, was anfangs darüber meine Gedanken
waren; wie nehmlich unser Heyland und die Wahrheit seines Evangelii in
solcher grausamen Knechtschafft und so einer grossen Llngerechtigkeit von der
Inquisition würcklich gehalten würden, daß man sich nicht zu verwundern
hätte, wenn derselbige unter die Gefangene des Tribunals gezählet werde.
Allein die Historie, so ich erzählen will, kömmt nicht so ernsthafftig heraus,
sondern ist lustig anzuhören. ... Dergestalt war nun zu Florentz eine Kirche,
in welcher unter andern ansehnlichen Bildern ein Crucifix das Gelücke Hatte,
die Gunst-Gewogenheit des Volckes an sich zu ziehen. Nun fiele aber eine
Frau, so eine schöne Tochter hatte, in eine Krankheit, und gleichwie dieselbige
allezeit diesem Bilde grosse Ehrerbietung erwiesen hatte, so kam sie auff die
Einbildung, daß sie deßwegen von demselbigen in ihrer Krankheit eine grosse
Erkäntlichkeit und eine gantz sonderbare Gunstgewogenheit erhalten. Die
Wahrheit war, daß eine Person, welche ihre Tochter zu öfftern zu sehen
wünschte, eine Invention antraff, die gute Patientin zu betrügen: denn er kam
gar offt zu ihr und hatte sich in derselbigen Gestalt verkleidet, darinnen die
kranke Frau vermeinte, das Bild zu sehen, so ihr zu ihrer Tröstung so offt-
mals erschiene: Llnd was noch mehr den Betrug bekräfftigen halff, so wüste
er vermittelst ihrer Tochter alles, was ihm vonnöthen war, und so offt er sie
besuchete, so brachte er ihr mit, wornach sie nur wünschete und Verlangen
trug. Dieses waren nun empfindliche Würckungen, so in keiner Einbildung
bestunden. Dannnachhero war diese gute leichtgläubige Frau gantz bey sich ver-
sichert, daß alles von ihrem lieben Bilde herkäme: Derowegen wie andächtig
sich dieselbige gegen das Bild vor dem angestellet hatte, so dankbarlich wollte
sie sich auch gegen dasselbe jetzund erweisen, und sagte allen Leuten, die zu ihr
kamen und sie besuchen wolten, wie ihr das Bild so günstig wäre, und ihnen alle
den Vorrath und die Sachen sehen ließ, welche es ihr mitzubringen pflegte.
Mit einem Worte, die Sache wurde insgemein von jedermann geglaubt. . . .
Denn die Sachen von einer solchen Beschaffenheit nehmen so geschwinde und
gewaltig die Gemüther des abergläubischen Volcks ein, daß in wenig Tagen
eine gantze Stadt ihre fünf Sinnen verlieret: Llnd dieses begab sich bey dieser
Gelegenheit auf eine merkwürdige Manier in der Stadt Florentz, denn die
gantze Stadt nahm diese Ordensgesellschaft (Beibrüderschaft) an, der Groß-
hertzog selbst befand sich in derselbigen Anzahl, und ein jeder bemühete sich,
dahin zu trachten, demselbigen Bilde neue Ehrbezeugungen zu erweisen,
welches sich gegen seine Anbeter so gütig und mildreich bezeuget Hatte.
Allein etliche Personen, so verständiger als die andern waren, merkten die
Betrügerey und gaben Papst Innocentio X. Nachricht hiervon. Derselbige
entschloß sich nun, den Lauff dieses abergläubischen Wesens einzuhalten: Aber
er sähe, daß es nöthig wäre mit einer Geschicklichkeit dieses Werk vorzunehmen.
Es trüge sich zu, daß gleich 1650 ein Jubeljahr einfiel. Derowegen so schrieb
nun der Papst nach Florentz, daß er vernommen, wie das Bild so grosse
Wunder gethan, drum trüge er ein grosses Verlangen, demselbigen seine Ehr-
erbietigkeit und Andacht zu erweisen, und dahero bäte er sie, das Bild nach
Nom zu bringen, damit es also von denen Pilgrim sowol, als von ihm selbst
seine Ehre und Dienst erhalten möchte.
Auf dieses wolten die Andächtigsten in dieser Ordensgesellschaft kurtzum diesem
guttätigen Bilde das Geleite geben. Da trugen sies nun in einer Procession
nach Rom und zweifelten im geringsten nicht, es würde der Papst, die Car-
dinäle und die gantze Römische Clerisey ihnen und dem Bilde entgegenkommen:
Allein es befremdete sie sehr, als sie an dessen statt an der Porta del popolo
eine Compagnie Sbirren antraffen, welche auf sie warteten; diese nahmen ihnen
das Bild und trügens sür die Inquisition: und schickten also die guten Leute
wieder zurücke, welche gantz schamroth gemacht worden waren, daß man ihrem
Crucifix so wenig Ehre erweisen wolte: gestalt es auch nach der Zeit stets ein
Gefangener in der Inquisition geblieben ist.
Der teure Heilige. Die Canonisation oder Versetzung unter die Zahl der
Heiligen des H. Caroli Borromaei kostet der Stadt Meyland mehr denn
100000 Kronen (wahr ists und nicht zu läugnen, daß er ein Prälat von
großer Wissenschaft und Verdiensten gewesen), und ist eben dieses die Llrsache,
daß die Bürgerschafft dieser großen Stadt nicht eben so hart auf die Canoni-
sation des Cardinals Friderici Borromaei dringet, wiewohl jedermann von
ihm beglaubet ist, daß er wegen der von ihm geschehener Wunderwerke dieses
mehr als zu wol verdienet; dieweil aber große Kosten hierzu erfordert werden,
fo lassen fie es immer noch anstehen. Denn obschon die zu sothaner Canoni-
fierung erforderte Kosten noch endlich vom Volcke aufgebracht werden möchten,
so stossen fie fich doch nur daran, daß es dabey noch nicht sein Bewenden Haben
möchte: indem man diesen neuen Heiligen wiederum mit allerley austräglichen
Präsenten beehren muß.
Der verunglückte Märtyrer. Allermassen denn die (protestantischen) Ein-
wohner (Graubündens) von den Papisten vor die anderen Cannibalen, so die
bey ihnen anlängenden Catholicken hinzurichten pflegen, gehalten werden;
welches gleichwohl der Mönch Sfondrado, Papst Gregorii XIV. Vetter, nicht
erfahren, als er fich in dieses vor ungefähr 18 Jahren zu dem Ende begeben,
daß er die Märtyrer-Krone daselbst erlangen und sein durch so viel Wunder-
werck berühmt gemachtes Wesen daselbst beschliessen möchte. Denn ohne daß
ihm daselbst übel solte begegnet worden seyn, so giengen vielmehr die Leute
des selbigen Orts (weil sie seinen Herrn Bruder, welcher sich nach Endgedin,
um der Bäder sich daselbst zu gebrauchen, damahl erhoben, gar wohl gekennet)
ihm entgegen, empfingen ihn mit sonderbarer Höflichkeit, unterhielten ihn mit
guter Bewirthung und gaben ihm in einer ansehnlichen Frequentz fast an allen
und jeden Orten das Geleite.

Dem ohngeachtet bemühete sich dieser Ordens-Mann so gut er konnte, fie
anzureitzen, daß fie sich an ihm vergreiffen möchten: indem er zum öffteren
ihrer abergläubigen Religion spottete und sie nicht wenig vexirte; welche
Worte sie aber garnicht übel außlegten, sondern ihm mit aller Lofflichkeit be-
gegneten, wordurch er gleichwohl gar nicht gewonnen, sondern vielmehr zu
einem so ungestümen Wüten veranlasset ward, daß, nachdem er nach Bormio
gekommen, er wegen des in seinem Hertzen derart geschöpfften Llnmuths und
Verdrusses seinen Geist aufgegeben.
Priesterwahl in Venedig. Die Priester werden von dem Volcke im jeglichen
Kirchspiel erwehlet; welches verursachet, daß der Adel dergleichen Dienste nie-
mahls verlanget, indem er dafür hält: es trete seiner Ehre zu nahe, wenn er
mit Leuten aus niedrigem Stande um einen Dienst anhielte, und ihm Hernach-
mahls dieselbigen vorgezogen würden. Nechst diesem würde gar löblich seyn,
wenn man diese Erwehlung fein ordentlich vornähme; wie man mich aber
berichtet, geschiehet selbige auff eine sehr ärgerliche Art und Weise. Denn
wenn der Wahltag kömmt, stellen sich die Candidaten ein und streichen eines-
theils ihre Meriten trefflich heraus, anderstheils aber verkleinern sie ihre
Competitores so sehr als sie können, alles in einer elenden unförmlichen Rede
und mit sehr ungeschickter Manier. Dann wie sie eines jedweden Leben und
Thun genau untersuchen, also schreyen sie seine Fehler über alle Maffen aus
und sparen nichts, was sie in ihren Kram dienlich achten, es mag auch so ge-
ring und so lumpenhaftig seyn, als es immer wolle.
Anekdoten und Späße
Der Schneider als Prediger. Der Oberhofprediger Stosch entdeckte bei
seinen Kirchenvisitationen öfters unberufene Geistliche, die vom Handwerks-
tische auf die Kanzel geraten waren.
Einst fand er an einem kleinen Orte einen Schneider, der alle Sonntage den
Leuten eine Predigt vorlas, die Kinder taufte, das Abendmahl reichte, kurz
alle Funktionen eines Predigers verrichtete. Stosch setzte ihn auf der Stelle
ab. Der Schneider aber, dem die Gemeinde das Predigeramt schon seit mehreren
Jahren übertragen hatte, ging nach Berlin und wurde klagbar bei dem Kur-
fürsten. Dieser ließ den Lofprediger holen, und stellte in seinem Kabinett
ein förmliches Verhör an. Stosch behauptete, daß der Schneider nicht einmal
die Formalitäten verstände, und forderte ihn auf, zu zeigen, wie man ein Kind
taufe? Der Schneider antwortete: „Dazu müßt ich ein Kind und Wasser
Haben." Da jenes aber nicht da war, legte der Hofprediger sein Käpplein auf
den Tisch und sagte: nun so bildet euch ein, dies wär ein Kind."
Ohne sich lange zu besinnen, machte der Schneider eine tiefe Verbeugung gegen
den Kurfürsten und begann: „Auf Befehl meines gnädigsten Kurfürsten und
Herrn, und dieweil der Herr Stoschius es also Haben will" (Hiermit goß er
eine Landvoll Wasser über das Käppchen), „taufe ich dich Käpplein, daß du
Käpplein sollst heißen und bleiben, so lang als ein Stück an dir ist."
Der Kurfürst lachte laut auf, zog Stosch an die Seite und sagte: „Lasset den
Kerl unvexiert, er ist gescheuter als Ihr."
Das biblische Heer. In Cromwells Armee Hatten fast alle Soldaten biblische
Namen.
Ein Witzling behauptete daher: die Offiziere gebrauchten die genealogischen
Kapitel der Bibel zu ihren Musterrollen.
Papst und Großinquisitor. Ein Kavalier reiste nach Rom, um Ganganelli,
den er als Cardinal gekannt hatte, als Papst zu sehen. Er besuchte auf dieser
Reise Voltaire und fragte ihn: was er dem Papst von ihm sagen sollte?
Voltaire antwortete: „Benedikt der vierzehnte schickte mir Medaillen, Ablaß
und seinen Segen, ich wünschte, daß mir Ganganelli die Ohren des Groß-
inquisitors schicken möchte."
Der Reisende richtete seinen Auftrag treulich aus und der Papst gab ihm
zum Bescheid:
„Schreiben Sie nur an Voltaire, daß so lange Ganganelli Papst bleibt, der
Großinquisitor weder Augen noch Ohren Haben wird."
Des Kaisers Freunde. Kaiser Friedrich wurde von einem Fürsten gefragt:
„Welches wohl seine größten Freunde wären?"
„Die Gott mehr fürchten als mich," gab der Kaiser zur Antwort.
Der glückliche Fürst. Ein kleiner deutscher Fürst, der in seinem Duodez-
ländchen alle Einrichtungen größerer Staaten auf eine oft ins Lächerliche
fallende Art, nachahmte, tat sich sehr viel auf seine Regierungskunst zu gute.
Als er einst mit dem Grafen von M. davon sprach, und darüber einen Lob
erwartete, sagte dieser zu ihm:
„In der Tat, Ew. Durchlaucht sind gewiß einer der glücklichsten Regenten,
denn wenn Sie niesen, so können alle Ihre Untertanen, Gott helfe! sagen."
Kleine Geschenke. Montesquieu stritt einst mit einem Gelehrten über einen
wissenschaftlichen Gegenstand. „Sie sollen meinen Kopf haben, wenn meine
Meinung nicht die richtige ist," sagte der letztere.
„Ich nehme Ihr Anerbieten an," versetzte Montesquieu: „denn kleine Ge-
schenke erhalten die Freundschaft."
Amors Fittige. Eine Dame schrieb an ihren Liebhaber:
„Mit den Federn aus Amors Fittigen schreibe ich Dir, Du siehst, daß er
nicht mehr davon fliegen kann." M.A. 1811.

Für die Redaktion der Beilage „Aus alten Tagen" verantwortlich: Dr. Fritz Coerper, Berlin W 9, Lennostraße 4.
 
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