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Lichtwark, Alfred; Pauli, Gustav [Hrsg.]
Briefe an die Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle (Band 1) — Hamburg: Westermann, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.53294#0110
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noch accentuirt, die Augen noch tiefer, Bart und Haar noch
wilder. Er war von einer rabiaten Verlegenheit, offenbar
empfand er die Situation alg unbequem. Ich ſah nicht recht
klar. Er hatte auf meine Briefe dilatoriſch, aber nicht ablehnend
geantwortet. Nach einigen Redensarten ſagte ich ihm, weshalb
ich ſelber gekommen waͤre. Sie haben recht gethan, ſagte er ſehr
lebhaft, ich wußte nicht recht mehr aus noch ein. Dem Luxem⸗
bourg habe ich meine Arbeiten abgeſchlagen, nun kommen Sie
aus Deutſchland und ſchreiben mir ſo freundlich und eingehend,
daß ich mir ſagen muß, ma foi, du kannſt doch nicht unhoͤflich
ſein und kannſt doch auch wieder nicht ohne weiteres ja ſagen.
Und dann — was wuͤrden meine Freunde ſagen — l'allemagne! —
Vous savez, monsieur, ce mot là nous donne toujours un
frisson. Ich habe meinen Freunden (nachher erfuhr ich, daß
einige wilde Deutſchenhaſſer dabei ſind, Méline z. B.) die Briefe
gezeigt, ſie haben mir geſagt, l'art n'a pas de patrie, es iſt eine
Ehre fuͤr Frankreich. Aber ich haͤtte mich doch nur ſehr ſchwer
entſchieden, wenn Sie nicht gekommen waͤren. — Er hatte jedoch
ſchon Alles zurecht gelegt. Er war wirklich ein Bahnbrecher,
nicht Alles iſt gleich gut, aber das Beſte gehoͤrt doch zu dem
allervornehmſten, da iſt namentlich ein ganz herrlicher Kopf
eines Blinden, dann der Kopf von Naudet, an den ſich die
ganze Entwickelung knuͤpft. — Wir wurden bald einig. Er giebt
uns ſein Werk fuͤr die Gußkoſten.

Dann mußte ich ſeinen Garten ſehen, den er für ſeine Kinder
angelegt hat. Er erntet garnichts, alles iſt Frucht und Obſt.
Offenbar hat er eine ſehr große Familie, denn ſie eſſen alle
Fruͤchte eines ausgedehnten Weinbergs im Garten auf. Gras—
plaͤtze giebt es nicht, dafuͤr treten Erdbeerbeete ein, Himbeerbuͤſche
wechſeln mit Brombeerhalden ab, eine Ecke iſt alg Wuͤſtenei fuͤr
allerhand wilde Beeren eingerichtet, Kirſchen, alles Kern- und
Steinobſt im uͤberfluß. Da mußte ich alles anſehen und dachte
mir, wie ſich die Kinder und dann die Enkel zwiſchen all dem
Obſt wohl gluͤcklich gefuͤhlt haben. — Jedenfalls ein Zug, der
nicht recht franzoͤſiſch iſt, dieſe Freude an einer großen Familie.

Darauf ging es ins Haus, und wir ſetzten uns in ein halb—



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