Degas die Schoͤpfung neuer Toͤne und neuer Kombinationen, die
nicht aus der Natur direct ſtammen, ſondern aus der kuͤnſt—
leriſchen Phantaſie. Er dichtet mit der Farbe, wie es die großen
Japaner gethan haben. Um ſein kuͤnſtleriſches Weſen zu um—
ſchreiben, muͤßte man erſt feſtſtellen, was er nicht giebt, einerlei,
ob er es nicht hat oder nicht will. Er bewegt ſich auf einem
ganz engen Stoffgebiet, uͤber das Ballet und den Sport geht er
ſelten und je laͤnger deſto ſeltener hinaus. Und er ſieht dieſen
Theil der Welt nur als Zeichner und Maler, nicht als Dichter
oder Erzaͤhler. Hier muͤßte man vergleichen, wie Andere das
Ballet behandeln. Dann ſieht er ſeine Modelle ohne eine Spur
menſchlichen Mitgefuͤhls an. Es muß ihm ganz einerlei ſein, ob
er eine Balletteuſe oder einen Flamingo vor ſich hat. Was in
den Maͤdchen lebt, iſt ihm voͤllig gleichguͤltig. Er hat keine Spur
der tiefen menſchlichen Sympathie Rembrandts. Es iſt in ihm
etwas von dem abſtracten Weſen Menzels, etwas Geſchlechts—
loſes, Unmenſchliches, Grauſames. Aber bei all dieſer Beſchraͤnkt—
heit, welch ein Reichthum an rein maleriſcher Geſtaltungskraft,
und welch eine Originalitaͤt in der unſchematiſchen Kompoſition,
die doch nie blos Ausſchnitt iſt, ſondern nur eine ganz neue Art,
von der Tradition abweichend, zu bilden und ſeine Geſtalten in
den Raum zu ſtellen. Das iſt neben ſeiner neuen Farbe viel—
leicht ſein Staͤrkſtes geworden, die Darſtellung des Raumes,
und auf dieſem Gebiet liegt wohl auch ſeine eigentliche Ent—
wicklung. Man muͤßte aus allen ſeinen Epochen einmal eine
Reihe typiſcher Raumbildungen zuſammenſtellen, um dies Mo—
ment augenfaͤllig zu machen. Von dem, was er ausdruͤckt, laͤßt
ſich eigenilich nicht reden, und das iſt der beſte Beweis, daß er
rein maleriſch arbeitet. Seine Staͤrke und ſeine Grenzen ſind
damit bezeichnet. Ich glaube, er wird ſtets eine Kunſt fuͤr Kuͤnſt—
ler gemacht haben. Sehr neugierig bin ich, Liebermanns Aufſatz
kennen zu lernen. Er ſagt, es wird ihm ſchwer, ſeine Gedanken
niederzuſchreiben, waͤhrend er doch in der Schule ſich immer
durch ſeine guten Aufſaͤtze herausgeriſſen habe. Ich glaube es
ſchon: jetzt iſt er an ein Schaffen im Raum gewoͤhnt, einen
Eſſay ſchreiben iſt Schaffen in der Zeit. ...
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nicht aus der Natur direct ſtammen, ſondern aus der kuͤnſt—
leriſchen Phantaſie. Er dichtet mit der Farbe, wie es die großen
Japaner gethan haben. Um ſein kuͤnſtleriſches Weſen zu um—
ſchreiben, muͤßte man erſt feſtſtellen, was er nicht giebt, einerlei,
ob er es nicht hat oder nicht will. Er bewegt ſich auf einem
ganz engen Stoffgebiet, uͤber das Ballet und den Sport geht er
ſelten und je laͤnger deſto ſeltener hinaus. Und er ſieht dieſen
Theil der Welt nur als Zeichner und Maler, nicht als Dichter
oder Erzaͤhler. Hier muͤßte man vergleichen, wie Andere das
Ballet behandeln. Dann ſieht er ſeine Modelle ohne eine Spur
menſchlichen Mitgefuͤhls an. Es muß ihm ganz einerlei ſein, ob
er eine Balletteuſe oder einen Flamingo vor ſich hat. Was in
den Maͤdchen lebt, iſt ihm voͤllig gleichguͤltig. Er hat keine Spur
der tiefen menſchlichen Sympathie Rembrandts. Es iſt in ihm
etwas von dem abſtracten Weſen Menzels, etwas Geſchlechts—
loſes, Unmenſchliches, Grauſames. Aber bei all dieſer Beſchraͤnkt—
heit, welch ein Reichthum an rein maleriſcher Geſtaltungskraft,
und welch eine Originalitaͤt in der unſchematiſchen Kompoſition,
die doch nie blos Ausſchnitt iſt, ſondern nur eine ganz neue Art,
von der Tradition abweichend, zu bilden und ſeine Geſtalten in
den Raum zu ſtellen. Das iſt neben ſeiner neuen Farbe viel—
leicht ſein Staͤrkſtes geworden, die Darſtellung des Raumes,
und auf dieſem Gebiet liegt wohl auch ſeine eigentliche Ent—
wicklung. Man muͤßte aus allen ſeinen Epochen einmal eine
Reihe typiſcher Raumbildungen zuſammenſtellen, um dies Mo—
ment augenfaͤllig zu machen. Von dem, was er ausdruͤckt, laͤßt
ſich eigenilich nicht reden, und das iſt der beſte Beweis, daß er
rein maleriſch arbeitet. Seine Staͤrke und ſeine Grenzen ſind
damit bezeichnet. Ich glaube, er wird ſtets eine Kunſt fuͤr Kuͤnſt—
ler gemacht haben. Sehr neugierig bin ich, Liebermanns Aufſatz
kennen zu lernen. Er ſagt, es wird ihm ſchwer, ſeine Gedanken
niederzuſchreiben, waͤhrend er doch in der Schule ſich immer
durch ſeine guten Aufſaͤtze herausgeriſſen habe. Ich glaube es
ſchon: jetzt iſt er an ein Schaffen im Raum gewoͤhnt, einen
Eſſay ſchreiben iſt Schaffen in der Zeit. ...
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