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ZEITWENDE

Zeitwende — das Wort spricht und schreibt sich so leicht. Es liest sich auch leicht
und verbindet sich in der Anschauung mit dem Umwenden eines Buchblattes:
mit der neuen Seite beginnt das neue Kapitel und das vorangegangene liegt
abgeschlossen hinter uns. In Wahrheit — wie langwierig und aufregend, wie
vielgestaltig und zwiespältig, unter wieviel Schmerzen und Wonnen vollzieht sich die
Trennung zweier Zeitalter! Was aus der Ferne klar und schnell und eindeutig erscheint,
bestimmt durch große Menschen und große Ereignisse, zeigt bei näherem Zusehen alle
Stufen und Abschattungen eines verwickelten Übergangs. Das Alte und das Neue scheidet
sich nicht von heute auf morgen. Es wird und wächst mit- und auseinander. Vergangenes
und Gegenwärtiges bedingen sich; was eben noch freie Entscheidung war, wird gleich
darauf eherne Notwendigkeit; eben geschah die schöpferische Tat — und schon wirkt
das Werk nach dem eigenen, ihm innewohnenden Gesetz, das sich nicht mehr allein aus
dem Willen dessen bestimmt, der es schuf. Neu, anders schafft und wirkt dies Werk in
abertausend Seelen und Gehirnen . . . Und doch wird das Schauspiel Zeitwende darum
nicht kleiner, weil es in Wahrheit verwickelt ist. Es wird immer nur größer und gewaltiger
in seiner reichen Vielfältigkeit und in seiner Menschlichkeit. . .

Renaissance und Reformation sind uns zwei geläufige Gedächtnisbegriffe. Eine solche
Fülle geistiger und seelischer Bewegung, gelehrter und künstlerischer und religiöser An-
schauung drängt und schwingt in ihnen, daß es sich empfiehlt, sich immer wieder ihren
deutschen Wortsinn gegeriwärtig zu machen. Im einen handelt es sich um die Wiedergeburt
des in Schrift- und Bildwerk überkommenen klassischen Altertums; im anderen um die
Neu- und Umformung des christlichen Glaubens und seiner irdischen Organisation, der
Kirche. Beiden gemeinsam ist das Zurückgreifen auf einen früheren, rejneren Quell der
Überlieferung — hier der Antike, dort des Urchristentums. Weithin scheinen sie sich in
ihrer ersten Entwicklung zu bedingen und zu ergänzen, scheinen des gleichen Weges gewiß
zu sein. Ein neues, engverwandtes Lebensgefühl pulst in beiden. Dann überwächst die
Reformation als Sache des Gewissens, im besonderen des deutschen Gewissens, die engere
Sache der Bildung, der Kunst und des Wissens, die Renaissance. Aus einer Angelegenheit
cRr Gelehrten und Gebildeten wird eine solche des ganzen Volkes, eine Revolution der
gesamten Weltanschauung.

Uesser als aus dem Allgemeinen geschichtlicher Begriffe erleuchtet sich das Gesicht
einer Zeit aus dem unmittelbaren Erlebnis. Ein einzelnes Ereignis, herausgegriffen aus

1 Cranaoh

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