Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lill, Georg; Leinberger, Hans [Ill.]
Hans Leinberger - der Bildschnitzer von Landshut: Welt und Umwelt des Künstlers — München: Verlag F. Bruckmann, 1942

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.61895#0106
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die datierten und näher datierbaren Werke
in chronologischer Reihenfolge
Wohl gleichzeitig mit dem Moosburger Altar ist ein anderes Relief entstanden, das
erst durch die Ausstellung von 1932 in das Werk Leinbergers eingereiht werden
konnte, es ist das Hochrelief der hl. Anna-Selbdritt im Kloster
Gnadenthai in Ingolstad t.97 Von der Inventarisation der Kunstdenk-
mäler Oberbayerns überhaupt nicht erwähnt, hat es Philipp M. Halm in seiner 1904
zuerst erschienenen Arbeit über Matthäus Kreniß diesem Meister zuteilen wollen.98
Mit seltsamer Hartnäckigkeit hielt sich diese Annahme, um so mehr als das Relief
im Regularchor der Franziskanerinnen stand und so von Fachleuten äußerst selten
im Original besichtigt werden konnte. Dabei ist dieses Werk für die Erkenntnis der
künstlerischen Entwicklung Leinbergers von ausschlaggebender Bedeutung. Zeigt
es doch an einem Werke, das gleichzeitig mit dem Moosburger Altar entstanden ist,
wie Leinberger nicht erst nach seiner Niederlassung in Landshut durch fremde An-
regung mit der heraufkommenden Renaissance vertraut wurde - auch, das ist schon
behauptet worden sondern daß er schon bei Beginn seiner Landshuter Tätigkeit
diesen Geist in sich aufgenommen hatte.
Das Kloster Gnadenthai in Ingolstadt ist eine Niederlassung der Franziskanerinnen
mit einer bescheidenen spätgotischen (im 18. Jahrhundert barockisierten) Kirche
St. Johann aus dem Jahre 1487.99 Auf dem rückwärtigen Nonnenchor stand diese
Altartafel zuletzt in einem Altar des 18. Jahrhunderts, früher wohl in einem renais-
sanceartigen Altaraufbau der gleichen Zeit. Im Jahre 1936 wurde sie jedoch in den
Hauptaltar der Kirche glücklich eingefügt und kann jetzt leicht besichtigt werden.
Dargestellt ist die hl. Anna-Selbdritt. Die Komposition besteht aus einem antikischen
Architekturaufbau, der durch zwei etwas gegensätzliche Darstellungen gefüllt wird:
Unten der Vorgang auf Erden mit der hl. Familie, oben der offene Himmel mit Gott-
vater. Die Architektur wird von klarem Bemühen um tektonische Gliederung be-
stimmt. Unten eine Sockelbank, neben der zwei Säulenstühle, mit Gitterwerk belebt,
vorspringen. Auf ihnen erheben sich schwere, üppige Balustersäulen, deren Basen,
Trommeln und Kapitelle mit krausem Laubwerk bedeckt sind. Darauf ruht das
profilierte Gesims, das in der Mitte zurückspringt und einen Segmentbogen trägt.
In dieser Architektur sitzt unten das Frauenpaar, rechts (heraldisch) die jugendliche
Maria, links die matronenhafte Mutter Anna; sie hält auf der rechten Hand das
strampelnde Kindchen, dem sie mit der Linken einen Granatapfel reicht. Das Kind-
chen langt mit dem linken Händchen nach der Frucht, strebt aber gleichzeitig nach
rechts zur Mutter Maria, die ihr die Arme entgegenbreitet. In der ganzen Auf-
machung ist höchster Wert auf dekorative Prunkentfaltung gelegt. Die beiden Frauen
tragen Gewänder von flutender Faltenschönheit; im wesentlichen sind nur die Mäntel
sichtbar. Annas Mantel ist im oberen Teil mit zahllosen Parallelfalten des plissierten
Stoffes belebt, unten häufen sich kurvierte Falten, die von rückwärts ausstrahlen,
um eine tiefe Mulde und begegnen so im kühnen Schwünge-den ähnlichen Falten, die

102
 
Annotationen