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IV

Oorwovt.

lassen, daß sich das Urtheil der Zeit in Bezug auf Cranach's Künstler-
werth an alle dem bilde und sättige, was innerhalb dieser Schule un-
erreicht geblieben und auf Cranach's Namen gesündigt worden ist.

Recht lebhaft dachte ich an das Wort des Herrn: „Kein Prophet ist
angenehm in seinem Vaterlande", als ich in der kleinen, aber überaus
werthvollen Galerie des Palastes Sciarra in Rom den hervorragendsten
Meisterwerken dieser Sammlung — wie dem Raphaellschen „Violin-
spieler", der Tizian'schen „Madonna" und der „Bella di Tiziano", der
schönsten Frauengestalt, die dieser Meister gemalt hat — den Tribut
der Bewunderung gezollt hatte und dann mitten nnter diesen blendenden
Knnstschöpfungen plötzlich von einem Madonnenbild mich gefesselt fühlte,
sür welches ich zuvor, im Drange, das Bedeutendste und Gepriesenste
dieser Sammlung kennen zu lernen, kaum mehr als einen flüchtigen Blick
gehabt haben mochte. Jch weiß nicht, ob es die Erinnerung an verwandte
Kunstwerke in deir Heimat war, was mich so plötzlich gefangen Hielt, aber
es war mir, als hätte mich mitten unter den Feneraugen romanischer
Naturen der stille, treue, gedankenvolle Blick eines deutschen Auges berührt,
als hütte mein Ohr mitten unter den hochgeschwungenen Tönen südlicher
Kehlen das herzentquollene, einfache keusche Lied deutscher Zunge ver-
nommen. Der Zauber, mit welchem das Bild auf mich wirkte, hatte im
ersten Augenblicke jedenfalls seinen Quell mehr im persönlichen Gefühl als
in dem vergleichenden Urtheil des Verstandes, aber ich überließ mich ihm
mit allem nationalen Selbstbewußtsein, nachdem ich mich überzeugt, daß ich
in dieser lieblichen, von Engeln umgebenen Madonna, die diese auserlesene
Sammlung auch neben einer Madonna und Bella des Tizian zu ihren
Perlen zählt, ein Werk des deutschen Meisters Lucas Cranach bewundern
konnte. Das Bild stammt aus dem Jahre 1504; Cranach malte es also
in seinem 32. Jahre, lange vor der Zeit, wo er uns im Bunde und in
innigem Verkehr mit den hervorragendsten Urhebern und Genossen jener
großen geistigen Bewegung erscheint, die auf dem Grunde des deutschen
Gemüthes entsprossen, dem Denken, Fühlen und Streben des deutschen
Volkes für alle folgenden Jahrhunderte ihr Geprüge aufgedrückt hat; und
doch standen bei dem Namen des Lucas Cranach all die aufleuchtenden und
fortleuchtenden Stätten und Charaktere jener Zeit mit einmal lebendig vor
meiner Seele — auf römischen Boden um so lebendiger —: Wittenberg
nnd Alles, was dort der Geist an reinem Silber aus dem rohen Erz des
Mittelalters gewann, Friedrich der Weise, der die Stätte schuf, von welcher
das Licht ausströmen sollte, der in dem Ringen seiner Seele, die christliche
Kirche nur im Geiste und in der Wahrheit aufzubauen, die Beruhigung
des Glaubens fand, die er auf seiner Wallfahrt nach dem heiligen Grabe
vergebens gesucht hatte, Johann der Bestündige, der treue Hüter und
 
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