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einheitlichen festen Bühne war häufig gezwungen, Vorgänge
hinter die Szene zu verlegen und durch Boten erzählen zu lassen.1)
Wollte das geistliche Schauspiel die ganze Begebenheit lückenlos
vorführen, so mußte es auch Massen darstellen. Immer mehr
Gestalten erschienen seit dem 12. Jahrhundert auf der Bühne,
die heiligen Frauen und die Jünger im Gefolge des Herrn,
sodann Pilatus, die Juden und die Soldaten, die das Grab be-
wachen. So ergab sich nicht nur aus dem gleichzeitigen Anblick
der verschiedenen Standorte der Eindruck des Massenspiels,
sondern auch am einzelnen Standort war man auf die Ausbildung
von Gruppenwirkungen bedacht. An allzustarkes Statisten-
aufgebot darf man dabei nicht denken. Die Anzahl der Statisten
war durch die verfügbare Zahl der Geistlichen und Chorknaben
gegeben, in deren Händen diese Aufführungen zunächst lagen.
Ferner erlegte der begrenzte Raum der Kirche immerhin eine
gewisse Beschränkung auf. Da sämtliche Spieler von Anfang
bis zu Ende auf der Bühne sein mußten, verteilte man sie ein-
fach auf die Standorte. Wurde so im einzelnen Szenenbild die
Massenwirkung verringert, so entschädigte dafür der Eindruck
des Gesamtbildes.
Um eine Beherrschung des Massendialogs konnte es sich
in diesen Spielen noch nicht handeln. Das Wort mußte dem Bild
gegenüber zu kurz kommen. Der Text war lateinisch, konnte
also von den Laien gar nicht verstanden werden; sie mußten
mit dem Auge auffassen, was ihrem Ohr entging. Soweit der
Wortlaut des Dialogs sich nicht aus dem biblischen Text von
selbst ergab, war er so plump als irgend möglich zusammen-
gedichtet. Die dichterische Persönlichkeit verschwindet voll-
ständig in diesen Spielen.
Die Darstellungsweise dieser ersten lateinischen Spiele zeigt
sich am deutlichsten in dem Tegernseer „Antichrist“ aus der
Mitte des 12. Jahrhunderts.2) Eröffnet wird das Stück wie ge-
wöhnlich durch den feierlichen Einzug der auftretenden Personen.
2) W. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas, Halle 1894 ff., I, S. 87.
2) Abgedruckt in R. Froning, Das Drama des Mittelalters, Stuttgart
o. J. (Kürschners Nat.-Lit.).
einheitlichen festen Bühne war häufig gezwungen, Vorgänge
hinter die Szene zu verlegen und durch Boten erzählen zu lassen.1)
Wollte das geistliche Schauspiel die ganze Begebenheit lückenlos
vorführen, so mußte es auch Massen darstellen. Immer mehr
Gestalten erschienen seit dem 12. Jahrhundert auf der Bühne,
die heiligen Frauen und die Jünger im Gefolge des Herrn,
sodann Pilatus, die Juden und die Soldaten, die das Grab be-
wachen. So ergab sich nicht nur aus dem gleichzeitigen Anblick
der verschiedenen Standorte der Eindruck des Massenspiels,
sondern auch am einzelnen Standort war man auf die Ausbildung
von Gruppenwirkungen bedacht. An allzustarkes Statisten-
aufgebot darf man dabei nicht denken. Die Anzahl der Statisten
war durch die verfügbare Zahl der Geistlichen und Chorknaben
gegeben, in deren Händen diese Aufführungen zunächst lagen.
Ferner erlegte der begrenzte Raum der Kirche immerhin eine
gewisse Beschränkung auf. Da sämtliche Spieler von Anfang
bis zu Ende auf der Bühne sein mußten, verteilte man sie ein-
fach auf die Standorte. Wurde so im einzelnen Szenenbild die
Massenwirkung verringert, so entschädigte dafür der Eindruck
des Gesamtbildes.
Um eine Beherrschung des Massendialogs konnte es sich
in diesen Spielen noch nicht handeln. Das Wort mußte dem Bild
gegenüber zu kurz kommen. Der Text war lateinisch, konnte
also von den Laien gar nicht verstanden werden; sie mußten
mit dem Auge auffassen, was ihrem Ohr entging. Soweit der
Wortlaut des Dialogs sich nicht aus dem biblischen Text von
selbst ergab, war er so plump als irgend möglich zusammen-
gedichtet. Die dichterische Persönlichkeit verschwindet voll-
ständig in diesen Spielen.
Die Darstellungsweise dieser ersten lateinischen Spiele zeigt
sich am deutlichsten in dem Tegernseer „Antichrist“ aus der
Mitte des 12. Jahrhunderts.2) Eröffnet wird das Stück wie ge-
wöhnlich durch den feierlichen Einzug der auftretenden Personen.
2) W. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas, Halle 1894 ff., I, S. 87.
2) Abgedruckt in R. Froning, Das Drama des Mittelalters, Stuttgart
o. J. (Kürschners Nat.-Lit.).