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Wanner, Peter [Red.]
Heimatbuch der Stadt Lorch: Lorch: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Kloster — Lorch, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.7424#0189
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Aus den Lorcher Chorbüchern

Die Handschriftenabteilung der Württembergischen Landes-
bibliothek bewahrt drei ehemalige Lorcher Chorbücher: zwei
Antiphonare (Bücher mit liturgischen Wechselgesängen für die
Offizien, die Stundengebete) und ein Graduale (ein Buch für die
Gesänge im Meßgottesdienst). Registriert sind sie unter Codices
musici I Reihe 2°, 63 - 65.84 Der Weg ihrer Erwerbung über das
Kloster Neresheim ist bekannt, etliches auch gesagt über diese
im Lorcher Scriptorium entstandenen schweren, voluminösen
Pergamentbände. Abt Sebastian Sitterich war ihr Initiator. Ne-
ben Schreibern des eigenen Klosters wurden solche aus benach-
barten Klöstern und Orten zugezogen, auch mehrere Illumina-
toren. Der künstlerisch überragende war der weithin bekannte
Augsburger Laienmaler Nikolaus Bertschy. Im Graduale (65,
236; s. S. 99) bildet er sich am unteren Rand in einer lebensnahen
Szene ab: er arbeitet an einem Tisch mit Pultauflage, seine Frau,
dabeisitzend, legt in liebevoller Zuneigung ihren Arm um seine
Schulter. Daneben das Bild eines Mönches in seinem schwarzen
Habit am Schreibpult. Es ist der über sein Wappen kenntlich ge-
machte Leonhard Wagner, der führende Schriftmeister nicht nur
dieses Unternehmens. (»Er spielt in der Wiederbelebung klö-
sterlicher Buchschreibkunst zu Ende des Mittelalters eine be-
deutende Rolle« (Thieme/Becker Bd. 35,42). Diese beiden Mei-
ster ihres Faches, aus Augsburg gerufen, tragen entscheidend
dazu bei, daß die Lorcher Chorbücher zu den Spitzenwerken
spätgotischer Buchkunst in Schwaben zählen.

Hinsichtlich unserer Thematik - die Bau- und Kunstgeschichte
des Klosters Lorch - verdienen zwei Blätter der Chorbücher
aufmerksame Betrachtung. Im zweiten Antiphonar (64, 132v)
zeigt ein kleines Bild (~ 9 X 9 cm) eine Szene im Klosterhof:
zwischen Mitbrüdern, die Chorhemd und Birett tragen, der
Abt im Ornat (Abb. S. 178). Im Vordergrund zwei Mönche mit
einer entrollten Papsturkunde. Sie beginnt JVLIVS PABA IN
SCHWABEN LO(RCH). Den Ort verdeutlicht die Klosterkir-
che. Basilikale Form ist ihr gegeben, zwei runde Westtürme, ein
auffallend großer, vielseitiger Vierungsturm. Die Zahl der Sei-
tenschiff- und Obergadenfenster stimmt sogar mit der Wirk-
lichkeit überein, doch Querhaus und Chor sind gänzlich unter-
schlagen. Dies erzwangen Bildform und Dominanz der Figu-

ren. Kein Architekturporträt ist demnach gewollt, sondern ein
Zeichen der Klosterkirche.

Ein Blatt des anderen Antiphonars (63,151v) wird hier erstmals
publiziert (Abb. S. 179). Ikonographisch besonders ergiebig
stellt es anschaulich Klosterkirche und Klosterleben vor. Dies
als Teil der farbenprächtigen Zier eines Antiphon, eines Wech-
selgesanges für die Vesper am Vorabend von Fronleichnam. Der
Text ist in einer scharfkantigen Textura, das Notenbild in der da-
mals modernen Form der Quadratnotation geschrieben. Besse-
res gibt es in dieser Art kaum. Doch was wäre das Blatt ohne
seine Randzier und das Initialbild. In der Kopfleiste ist schon
hohe Bedeutung angeschlagen. Zwischen den Wappen der
Württemberger und Staufer die über Mitra und Krummstab ver-
bundenen Wappen des Abtes Sebastian Sitterich und des Klo-
sters Lorch, dieses mit dem Bild der thronenden Muttergottes
vor gelb-rot gespaltenem Schild. Ranken mit gestreuten Blatt-
gold-Sonnen leiten zu den vertikalen Schmuckleisten über.
Links ein Bandornament mit Koppelelementen, in seinem sym-
metrischen Aufbau an die Gestaltungsprinzipien der Frühre-
naissance-Ornamentik erinnernd. Rechts geschmeidig sich
windend Blatt- und Rankenwerk spätgotischer Art, gegenüber
dem Pendant üppiger, form- und farbenreicher, auch von höhe-
rer künstlerischer Reife.

Die figuralen Szenen setzen mit dem quadratischen Initialbild
ein. Der Anfangsbuchstabe, das »S« von Sacerdos, ist raffiniert
hineinverwoben und eingebaut in ein belebtes Interieur: die In-
nenansicht der Klosterkirche Lorch. Daß diese Kirche gemeint

84 Über die Lorcher Chorbücher haben substantiell gehandelt Clytus
Gottwald, Heribert Hummel und Wolfgang Irtenkauf (s. Lit.-Ver-
zeichnis). Eine Monographie über diese Bände steht noch aus. Unter
kunstgeschichtlichen Aspekten wäre noch etliches auszuwerten,
beginnend bei den Bildinhalten ihrer Malerei. Die Bände enthalten
wahre Schätze zur Flora und Fauna, zur Heraldik und Ornamentik,
zur Volkskunde und christlichen Ikonographie. Die Anteile der ein-
zelnen Buchmaler ließen sich feststellen. Der Illuminator der Fron-
leichnamsprozession z. B. erreicht nicht das künstlerische Niveau
von Nikolaus Bertschy, noch weniger jener der Bildinitiale mit den
Mönchen im Klosterhof. Fruchtbar könnte auch eine Diskussion der
in den Chorbüchern realisierten Auffassung von Buchmalerei sein.
Vergleiche würden ihre für jene Zeit tektonische Struktur bewußt
machen.

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