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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0189
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Kapitel III. Komische Kunst. 1. Charakter der Römer. 16J>

DRITTES KAPITEL.
Die römische Kunst.

1. Charakter der Eömer.

So nahe verwandt die Eömer den Griechen sind, so gewiss sie dem-
selben Stamme mit jenen entsprungen waren, so gewiss lassen sich ver-
schiednere Brüder derselben Familie kaum denken. Will man mit einem
Worte bezeichnen, worin dieser gewaltige Unterschied, ja man darf sagen,
Gegensatz bestehe, so kann man behaupten, die Griechen waren das Volk der
Kunst, die Eömer das des Staates. Die Griechen haben mit ihrer Schön-
heit die Welt erobert, die Eömer mit ihrer Politik. Wie die Bildwerke
und die Dichtung der Griechen bis auf den heutigen Tag die Menschen
einer ganz andern Weltordnung zur Bewunderung und Nachahmung hin-
reissen und als höchste Muster im Eeiche des Schönen gelten, so beherrschen
die Eömer noch immer mit ihrem Gesetzbuch einen guten Theil der mo-
dernen Nationen. Solchen Thatsachen muss wohl eine tiefere Bedeutung,
eine innere Nothwendigkeit zu Grunde liegen.

Die Griechen waren ein idealistisches Volk, die Eömer durch und
durch Eealisten. Die Griechen gründeten Staaten, sandten Golonieen aus,
verbreiteten ihre Bildung über ferne wilde Gestade; die Eömer hatten nicht
den Trieb der Civiüsatoren, sondern der Eroberer; denn damals beschönigte
man noch nicht das letztere durch das erstere. Die alte Sage von der
Entstehung und dem Wachsthum der römischen Gemeinde bezeichnet diesen
Beruf der Eömer, und lässt Gewaltthat und Besitzergreifung schon in der
Geburtsstunde Eoms die Signatur seiner Bewohner sein. Wie von einem
inneren Gesetz der Nothwendigkeit getrieben, dessen Paktoren die Lage
der Stadt und der Charakter ihrer Bürger waren, griffen die Eömer immer
weiter um sich, unterjochten sich zeitig die umwohnenden Stämme, nicht
bloss die verwandten latinischen, sondern auch die weltfremden Etrusker,
verschlangen bald ganz Italien mit seiner etruskischen und griechischen
Kultur und kamen in consequentem Portschreiten endlich zur Herrschaft
über die ganze damals bekannte Welt. Dass sich im Laufe einer so lange
dauernden, so mächtige Veränderungen mit sich führenden Entwicklung
die Zustände der Eömer bedeutend veränderten, war natürlich; aber wie
ein grosser Strom, der auf seinem unaufhaltsamen Laufe von allen Seiten
eine Menge andrer Flüsse in sich aufnimmt, noch dieselben Wellen als
Grundbestandtheile seines Wesens enthält, die in seinem ersten Laufe
 
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