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Lübke, Wilhelm
Grundriss der Kunstgeschichte — Stuttgart, 1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.2899#0692
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672 Viertes Buch. Die Kunst der neueren Zeit.

SECHSTES KAPITEL.
Die bildende Kunst im 17. und 18. Jahrhundert.

1. Die Bildnerei.1

Nach der Verflachung, welcher die Skulptur in der späteren Zeit des
16. Jahrhunderts in Italien und anderwärts anheimgefallen war, raffte sie
sich gegen den Beginn des folgenden Jahrhunderts zu einem neuen Style
auf, der von Italien ausging und, mit geringen Abweichungen, fast zwei-
hundert Jahre lang die Welt beherrschte. Der Geist des gesammten
Kunstschaffens war aber völlig umgewandelt. Wie wir es schon an der
Architektur dieser Barockzeit gesehen haben, drängt jetzt Alles auf mög-
lichst energischen Ausdruck, auf glänzende Effekte hin. Hatte sich dieser
Zeitrichtung das strenge Gesetz der Baukunst beugen müssen, wie viel
leichter konnten die bildenden Künste darauf eingehen! Die Malerei war
ihrem inneren Wesen nach am meisten dazu angethan, diesem Verlangen
zu willfahren, ja sie entwickelte daraus eine neue, wahrhaft bedeutende
Blüthe. Die Plastik aber vermochte nur dann einer ähnlichen Wirkung
sich zu nähern, wenn sie ihr eigenstes Grundprinzip aufgab und malerisch
wurde. Das Eelief hatte früher schon dazu den Anfang gemacht; jetzt
folgte die Freiskulptur ihm nach, warf alle Schranken der Kunst "zu Bo-
den und überlieferte sich rücksichtslos dem Hange nach Effekt.

Fortan sollte jedes plastische Werk unter allen Umständen lebhaft,
ja leidenschaftlich bewegt sein, sollte den Ausdruck innerer Erregung
durch Geberde, Haltung und Stellung zum gewaltsamen Affekt steigern.
Die naturalistische Bichtung der modernen Zeit verlangte dabei die erdenk-
lichste Lebenswahrheit in der Pormbehandlung, die aber gleichwohl bei
männlichen Gestalten durch schwülstig übertriebene Muskulatur, bei weib-
lichen durch eine widerlich üppige, glatte und im Einzelnen äusserst ge-
zierte Behandlung sogleich wieder in einen neuen Manierismus umschlug.
Dazu gesellte sich eine Gewandung, die ebenfalls nach rein malerischen
Gesetzen angeordnet war, in Ungeheuern bauschigen Massen den Körper
fast verschwinden oder durch allerlei raffmirte Künstelei durchschimmern
liess, jedenfalls aber der edlen, klaren Erscheinung der natürlichen Form
hinderlich war. Obendrein musste die Draperie in allerlei effektvoll er-
sonnenen Motiven, bauschig, flatternd und überladen, dem Ausdruck der
Bewegung, den man um jeden Preis erstrebte, karikirend zu Hülfe kommen.

1 Denkm. i. Kunst, Taf. 92 u. 93.
 
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