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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0284

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262

Viertes Buch.

Künstleri
sehe Anlagi

und zügelloser Freiheit sagte sie den an Despotismus gewöhnten, aber phan-
tastisch beweglichen Völkern des Orients vorzüglich zu. Schon im Charakter
der Araber, und dem gemäss auch in der Lehre des Islam, verband sich das
glühendste Leben einer rastlos schweifenden Einbildungskraft mit der Thätig-
keit eines scharfen, grüblerischen und berechnenden Verstandes. In Folge
dieser Contraste gestaltete sich bei den Mohamedanern einerseits ein ritterlich
abenteuerndes Leben, welches in manchen Grundzügen an das des christlichen
Mittelalters erinnert, andererseits eine hohe Blütlie der Cultur, besonders der
Naturwissenschaften, Mathematik und der Dichtkunst, so wie der Pflege und
Bebauung des Bodens. Man braucht nur an Spanien zu erinnern, welches
unter der Herrschaft der Mauren ein glänzendes Culturleben entfaltete, und
nach Vertreibung derselben immer tiefer in geistiges und materielles Elend
versank. Es lagen also reiche Keime der Entwicklung in der Weltanschauung
des Islams enthalten, und in der That predigt seine Lehre die schönsten Tu-
genden, die Tapferkeit, Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe, Gerechtigkeit, Treue
und Mässigung — Eigenschaften, welche seinen Bekennern in hohem Grade
eigen waren. Kein Wunder daher, dass diese Lehre eben sowohl dem naiven
Naturgefühl uncivilisirter Völker, wie der vielgestaltigen Cultur des Orients
zusagte. Für den weltgeschichtlichen Kreis, in welchem sie sich zu bewegen
hatte, bot sie, gerade wie das römische Christenthum für den seinigen, eine
reiche Fidle praktisch-sittlicher und desshalb culturfördernder Elemente dar,
und erscheint dadurch der dogmatisch-finstern Starrheit der griechischen Kirche
weit überlegen.

Für die künstlerische Entwicklung des Mohamedanismus war aber ein
'anderer Umstand vorzüglich einflussreich. Als die Araber ihre Eroberungs-
züge an traten, waren sie gleich den Germanen, die über das Römerreich her-
fielen, ein Naturvolk, dem eine höhere Cultur noch fremd war. Es ergab sich
daher als nothwendige, in der Geschichte auch anderwärts oft beobachtete
Folge, dass sie von der Bildung derjenigen Länder, welche sie sich unterwarfen,
unwillkürlich selber Momente in sich aufnähmen. Dies wurde durch den l?e-
weglichen, für äussere Eindrücke in hohem Grade empfänglichen Charakter
der Araber ganz besonders begünstigt. Am meisten fand diese Aufnahme
fremder Eigenthümlichkeiten auf dem Gebiete künstlerischen Schaffens statt.
Da der Geist jenes unruhigen Volksstammes noch weniger als der der israeli-
tischen Nation die gestaltenbildende Thätigkeit der Phantasie begünstigte,
sondern die Visionen der schnell erregten Einbildungskraft in jähem Wechsel
an einander vorüberjagte, ehe plastisches Erfassen und Ausbilden einer be-
stimmten Anschauung möglich war, so lag darin die Unfähigkeit für bildende
Kunst enthalten. Das Verbot aller bildlichen Darstellung, welches
der Koran ausspricht, war eine einfache Folge dieser Eigenthümlichkeit des
Volkscharakters, wenngleich die Furcht vor dem Zurücksinken in die Viel-
götterei des Heidenthums dabei mitbestimmend sein mochte. Gleichwohl er-
heischte der Cultus eine künstlerisch ausgeschmückte Stätte der gemeinsamen
Gottesverehrung. Nichts war daher natürlicher, als dass man sich, in ähn-
licher Weise, wie das junge Christenthum getlian, vorhandener Formen be-
diente, und einerseits aus den Resten altrömischer Werke, andererseits aus
den bereits bestehenden christlichen Kirchen die architektonischen Bedürfnisse
bestritt. Wie naiv man anfangs in dieser Beziehung verfuhr, beweist das
Beispiel des Kalifen Omar, der nach der Einnahme von Damaskus die Basilika
des h. Johannes den Mohamedanern und den Christen zu gemeinschaftlichem
 
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