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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0311

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Anhang. Russische Baukunst.

289

ANHANG-,

A. Russische Baukunst.

Gleich der mohamedanischen ging auch die russische Architektur*) vor-
züglich von byzantinischen Einwirkungen aus; gleich jener ist auch sie ihrem
Wesen nach ein Product des Orients. Aber man würde sich irren, wollte man
in ihr einen Hauch von dem liebenswürdigen, geistreichen Wesen suchen,
welches jene überall in mannichfaltiger Weise zur Erscheinung gebracht hat.
Es ist der Orientalismus in seiner geistlosesten, barbarischesten Form, byzan-
tinischer Pomp in asiatischer Verwilderung, der in diesem Style [zur Geltung
kommt.

Die Grundanlage, das griechische Kreuz, dessen Hauptpunkte durch
Kuppeln hervorgehoben werden, ist auf Byzanz zurückzuführen. Von dorther
empfing kussland auch gegen Ende des lO.Jahrh. unter Wladimir dem Grossen
das Christenthum. Kiew und Nowgorod, die alten Hauptstädte des Landes,
prangten mit kostbaren Kirchen. Denn auch hier war Reichthum und Prunk
der Ausstattung der vornehmste Gesichtspunkt der Erbauer. So verschwen-
derisch aber auch das Innere mit Mosaiken und dem blitzenden Schimmer
edler Metalle geschmückt wird, so eng, düster und gedrückt ist gleichwohl
der Eindruck desselben. Hier weht kein Athemzug eines freien Gedankens,
einer erhöhten, begeisterten Empfindung. Der Despotismus, der selbst die
Gewissen knechtet, lastet mit bleierner Schwere ajif dieser Architektur und
verbannt aus ihr Licht, Luft und freudiges Aufstreben. Am Aeusseren aber
feiert er in barbarisch-wilder Lust seine sinnlosen Orgien. Aus dem niedrig
gedrückten Körper des Baues wuchern eine Unzahl von Thürmen und Kup-
peln hervor, in den ausschweifendsten Formen sich gebahrend. Halbkugelig,
eiförmig, ausgebaucht, birnenartig gewunden, bald kraus und hoch hinauf-
schiessend, bald-schwerfällig breit hingedehnt, dabei mit bunten Farben und
Vergoldung bedeckt, sehen sie nach Kugler’s treffendem Vergleiche „einem
Knäuel glitzernder Riesenpilze“ ähnlich. So sind auch die übrigen Th eile des
Aeusseren mit barbarisch verwilderten Ornamenten in greller Bemalung voll-
ständig bedeckt. Man begreift diesen Bauwerken gegenüber jene Geschichte
vom Baumeister der der „schützenden Muttergottes“ geweihten Kirche Was-
silij Blagennoi zu Moskau, welchem Iwan Wassiljewitsch der Schreckliche
die Augen ausstechen liess, damit er kein zweites Weltwunder baue.

Ehe es jedoch zu dieser üppigen Entartung kam, die man den spezifisch
russischen Styl nennen darf, ist eine Reihe von Monumenten voraufgegangen,
die noch ziemlich einfach die Elemente des späteren byzantinischen Styles
mit seinen schlichten Grundrissanlagen und seinen schlanken Kuppeln wieder-
holen. Solcher Art ist die Kathedrale des h. Dimitri zu Wladimir an der

*) Das Folgende beruht auf den Aufnahmen russischer Kirchen und Paläste in dem, leider nur
mit russischem Text herausgegebenen Prachtwerke : riaMHTHHKH PpeRHHro pyccKaro 30A4CCTBa. (imp.)
ll>eflopa Piix'repa. Mockbor 1850 r/ia.

Lübke, Geschichte d. Architektur. 19

Charakter

derselben.

Kirchen-

anlagen,

Inneres.

Aeusseres.

Einfachere

Anlagen.
 
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