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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0322

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300

Fünftes Buch.

Verwirrung
im 9. und
10. Jahrh.

Wende-
punkt um’s
J. 1000.

princip aus eine Höhe und Vollendung des Systems, dass diese einzige archi-
tektonische Tliat für eine Gesammtepoche als vollgültiges Gewicht in die Wag-
schale fallen würde. So rastlos ist aber das Mittelalter in seinem Ringen, dass
es in einem völlig verschiedenen Styl, dem gothischen, auf ganz neue Weise
noch einmal dieselbe Aufgabe einer überraschenden Lösung entgegenführt.
Wir erkennen daraus eben auf’s Klarste, wie der ganze Gedankengehalt jener
Zeit in die Architektur sich ausströmte und in ihren Schöpfungen seine höchste
künstlerische Verklärung fand.

ZWEITES KAPITEL.

Der romanische Styl.

1. Allgemeines.

Wir deuteten schon an, dass der Zerfall des Karolingischen Reiches den
Ausgangspunkt der mittelalterlichen Entwicklung bilde. Ehe jedoch das Cul-
turleben der einzelnen Völker eine feste äussere Basis gewinnen konnte, ver-
ging noch geraume Zeit. Innere Parteiungen und Empörungen der trotzigen
Vasallen zerfleischten die Reiche, während von aussen die räuberischen
Sehaaren der Normannen, Wenden und Ungarn fortwährend verheerend ein-
fielen. Unter solchen Verhältnissen vermochte auch die Pflege der Architektur
nicht sonderlich zu gedeihen. Zwar wurden eine Menge von frommen Stif-
tungen gemacht, Klöster gegründet, Kirchen erbaut und reich beschenkt; aber
die wenigen Reste, welche aus dieser Frühzeit sich erhalten haben, bezeugen
deutlich den rohen Zustand der Technik und des Kunstgefühls bei fortge-
setztem, aber möglichst missverständigem Festhalten an den antiken Formen.
Dagegen verdanken wir jenen dunklen Jahrhunderten unzweifelhaft etwas Be-
deutendes : die Modificirung und Feststellung des Grundplans der Basilika
nach Maassgabe der damaligen Cultusbedürfnisse. Die wesentlichen Neuge-
staltungen dieser Art fanden wir schon bei dem früher betrachteten Grundriss
der Abteikirche zu St. Gallen aus dem 9. Jahrh.; beim Beginn unserer Epoche
treten sie uns überall übereinstimmend entgegen.

Dieser Beginn datirt vom Anfang des 11. Jahrhunderts. Gegen Ende des
10. Jahrh. waren die abendländischen Völker in einen solchen Zustand der
Entartung und Entfesselung versunken, dass das panische Entsetzen, mit
welchem die damaligen Menschen dem Jahre Tausend als dem Zeitpunkte für
den Untergang der Welt und das göttliche Gericht entgegen sahen, durch das
Bewusstsein der allgemeinen Verderbniss nur noch geschärft wurde. Als nun
das gefürchtete Jahr abgelaufen war, ohne die Welt Vernichtung zu bringen,
athmete die gesammte christliche Welt, wie vom tiefsten Verderben befreit,
dankbar auf. Der bangen Zerknirschung folgte jählings ein ungestümer Feuer-
eifer, der sich in frommen Werken nicht genug zu thun wusste. Ueberall ging
 
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