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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.26748#0484

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462

Fünftes Buch.

die Orgeln sind mit allen ihren Pfeifen aus Holz gefertigt. Die Kapitale der
Säulen bestehen entweder aus einfachen 11h)gen oder einer Nachbildung des
Würfelkapitäls, mit phantastischen Schnitzwerken auf den Seitenflächen.

DasAeusere. Das Aeussere dieser merkwürdigen Kirchen erhält durch die den ganzen
Bau umziehenden niedrigen „Laufgänge“, welche, nach Art der Kreuzgänge
unten geschlossen, oben durch eine Galerie auf Säulchen sich öffnen, eine noch
eigenthümlichere Gestalt. Diese Laufgänge bilden eine bergende Vorhalle und
halten den Schnee und die Winterkälte von den unteren Theilen des Gebäudes ab.
Ueber ihrem Dache erheben sich mit ihren kleinen viereckigen Fenstern die
Seitenschiffe, über diesen das Mittelschiff, und aus dessen Dache endlich steigt
ein viereckiger Thurm mit ziemlich schlanker Spitze auf. Dadurch erhalten
diese Kirchen einen ungemein malerischen Aufbau und eine Centralisirung der
Anlage, welche wohl mit Recht auf byzantinische Vorbilder zurückgeführt
worden ist. Das Aeussere hat mancherlei Schmuck, auch selbst buntfarbig
aufgemalte Ornamente. Die Giebel sind mit zierlich ausgeschnitzten Brettern
bekleidet, an den Portalen und andern ausgezeichneten Stellen finden sich
Arabesken von seltsam phantastischem Charakter, bisweilen an Schrift-
schnörkel in alten Manuscripten erinnernd. So tönt uns also im entlegensten
Norden, selbst unter der Herrschaft eines wesentlich verschiedenen Materials,
ein Nachklang der mächtigen Bildungsgesetze entgegen, welche in jener Epoche
die ganze christliche Architektur des Abendlandes bestimmen.

DRITTES KAPITEL.

Der gothische Styl.

1. Allgemeines.

veränderte Schon am Ende der vorigen Epoche sahen wir in der Architektur einen
ßfehtune- neuen Geist erwachen, neue Kräfte pulsiren, die den romanischen Gliederbau
durchzuckten und fremdartige Formen aus seinem Kerne hervorgehen liessen.
Der romanische Styl, der in seinen edelsten Schöpfungen den Inhalt seiner
Zeit, die Verschmelzung antiker Tradition mit christlich-germa-
nischem Leben, so lauter und vollkommen ausgesprochen hatte, wurde
durch diese neue Gährung aus seiner ruhigen Bahn verdrängt und zu Aus-
schreitungen getrieben, die ihm einen unklaren, schwankenden Ausdruck gaben.
Diese geistige Bewegung wuchs allmählich so stark an, dass sie die Gesetze
des hergebrachten, seit zwei Jahrhunderten blühenden Styles gewaltsam durch-
brach und sich eine neue, durchaus selbständige Erscheinungsform schuf.
Aristokra- Wir sahen schon in der vorigen Epoche im Scliooss der gesellschaftlichen
VichLbc/eSist.Ordnung diese Umwälzung sich vorbereiten. Sie wurde in Frankreich vor-
zugsweise durch das auf dem Gipfel seiner Entwicklung stehende Ritterthum,
in Deutschland durch das Bürgerthum getragen. Man darf sich indess nicht
die Vorstellung von einem feindlichen Gegensätze dieser gesellschaftlichen Ele-
mente gegen die Kirche machen. Nichts würde dem Geist des Mittelalters
 
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