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Sechftes Buch.

lieh das Wohnhaus palaftartig; fo im PringsheimTchen Haufe von Ebe und Benda,
das durch feine auffallenden Formen und den wohlgemeinten, wenn auch nicht
eben fo wohl gelungenen Yerfuch polychromer Behandlung Auffehen erregt hat,
oder in dem von Thile-Winkler’fchen Haufe derfelben Architekten, welches außen
eine üppige Frührenaiffance zeigt, innen fich dafür zum Rococo bekennt. Ein
großartig angelegtes und trefflich durchgebildetes Renaiffancewerk ift die Paffage
von Kyllmann und Heyden, ein ftattliches Werk auch das Gebäude der Boden-
kreditanflalt von Ende und B'öckmann. — Letztere haben fodann in den
Häufern der Beuthftraße einen gelungenen Verfuch gemacht, die kräftigen For-
men der deutfehen Renaiffance, die wirkfamen Gliederungen der Flächen, die
Erker, Eckthürmchen, gefchwungenen Giebel jenes Styles zur Anwendung zu
bringen und dadurch der unerträglichen Monotonie moderner Häuferreihen eine
Erfrifchung und Belebung zu fchaffen, die nüchterne Horizontale durch einen
malerifch wirkungsvollen Umriß zu verdrängen. Neue Aufgaben hat dann die
großartige Entwicklung des Gefchäfts- und Verkehrslebens der Reichshauptftadt
gebracht in den riefig ausgedehnten Bahnhöfen (Anhalter Bahnhof von Schwech-
ten), Hotels (Kaiferhof, Central-Hötel, Alexanderplatz-Hötel von Holfl, Zaar und
Martens), Reftaurationslokalitäten, Kaufhäufern u. dergl., an deren künftlerifcher
Geftaltung und reicher Aushattung fich die Architekten Kay [er und v. Grojsheim,
v. d. Hude und Hennicke u. A. mit Glück betheiligten. Neuerdings hat Grije-
bach in folchen Aufgaben mit Erfolg eine flrengere conftructive deutlche Re-
naiffance zur Verwendung gebracht.

Faßt man alle diefe Beflrebungen in’s Auge, fo ift nicht zu verkennen, daß
die frühere Starrheit der Berliner Architektur einer freieren, lebensvolleren Be-
handlung zu weichen beginnt. Kein Unbefangener wird fich der Thatfache ver-
fchließen können, daß das architektonifche Bedürfniß derZeit auf Wiederbelebung
der Renaiffance gerichtet ift. Wir huldigen damit nicht etwa, wie Kurzfichtige
meinen, einer unberechtigten Ausländerei, fondern fetzen nur fort, was die glän-
zendfte Entfaltung des deutfehen Bürgerthums in der Geburtsepoche der neuen
Zeit angeftrebt hat. Unfere herrlichften alten Städte, wie Nürnberg, Rothenburg,
Augsburg, Lübeck, Danzig und fo viele andere, tragen in ihren Profanbauten
nicht den Charakter des Mittelalters, fondern den der Renaiffance. Die unendliche
Mannichfaltigkeit der Aufgaben, welche dem modernen Profanbau gefleht find,
laffen fich im Sinne der italienifchen, franzöfifchen und deutfehen Früh- und Hoch-
renaiffance mit einem Reichthum der Ausdrucksmittel löfen, wie kein anderer
Styl fie zu bieten vermag. Gerade die Beweglichkeit diefes Styles, die ihm für die
Praxis einen unverkennbaren Vorzug vor den flreng organifchen Bauweifen, der
griechifchen und gothifchen, verleihen, machen ihn vor Allem zum Träger der nach
Freiheit ftrebenden modernen Subjectivität. Es fleht zu erwarten, daß die Ber-
liner Schule fich von der früheren Schablone immer mehr befreie und durch ein
tieferes Studium der Renaiffance fich erfrifche. Man darf dann hoffen, daß endlich
auch die großen Monumentalbauten des Staates und der Gemeinde, die feit Schinkel’s
Tode lange Zeit die fchwache Seite der dortigen Architektur bildeten, wieder in
einem neuen großen Sinne behandelt werden. Wie unfruchtbar diefe Seite des
Schaffens bis vor Kurzem war, bezeugte außer dem Rathhaus der Ausfall der
Concurrenzen für den Dom und (die erfte) für das Parlamentshaus, fowie neuer-
dings für die Gebäude des Generalflabs und des Reichspoftamts. Bei der früheren
 
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