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JOHANNES JAHN

DER WEG DES KÜNSTLERS

„Du bist, ich kann nicht sagen keinen Tag,
nein vielmehr keine Stunde müßig - immer ist der Pinsel in Deiner Hand.“
{Aus dem Brief des Dr. Christoph Scheurl an Cranach vom 1. Oktober 1509)

Hjitie eigentümliche Erscheinung der Kunstgeschichte ist die in einer Nation mitunter ganz plötzlicli
auftretende Verdichtung und Steigerung ihrer künstlerischen Kräfte, die kürzere oder längere Zeit an-
hält, um dann einer Leere zu weichen, die um so mehr als solche empfunden wird, je höher die voran-
gegangene Leistung sich erhoben hatte. Es wird nicht immer leicht sein, solche Steigerung aus den
Gegebenheiten der Zeit eindeutig herzuleiten, zu verstehen, warum von ihrer steigenden Woge auch die
bildende Kunst mit emporgetragen wurde, während anderes im Wellental zurückblieb. In jener Epoche
der deutschen Kunst freilich, die wir nach ihrem größten Vertreter die Dürerzeit nennen, scheinen zwi-
schen den sie durchbebenden, zu revolutionären Entscheidungen drängenden Kräften und dem künst-
lerischen Schaffen besonders deutlich faßbare Zusammenhänge zu bestehen, wenn diese auch nicht auf
eine einfache Formel zu bringen sind, sondern sich in jeder Kunstgattung und jeder Künstlerpersönlich-
keit anders darstellen. *

Dem besonderen Schicksal der deutschen Nation übergeordnet war damals der in Italien beginnende
und alle Bezirke des europäischen Bereichs unaufhaltsam ergreifende Wandel des Bewußtseins und da-
mit des Verhältnisses zur Welt, den wir den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit nennen, kunst-
geschichtlich gesprochen den Übergang von der Gotik zur Renaissance. Mit dieser einfachen Feststellung
ist freilich eine geschichtliche Wirklichkeit von verwirrender Vielfalt bezeichnet, die uns auch auf Cra-
nachs Schaffensweg auf Schritt und Tritt begegnen wird. Denn Kunst ist nicht nur eine besondere Art
des Zusammenwirkens von geistigem und handwerklichem Können, sondern - und das gibt ihr erst den
eigentlichen Inhalt - eine Form der Auseinandersetzung des Einzelnen mit der geschichtlichen Situation,
in die er hineingeboren wurde. Diese in ihrer ganzen Fülle zu schildern, ist hier nicht der Ort, und nur
die kunstgeschichtliche Umwelt des Meisters soll zuvor in knappen Umrissen angedeutet werden.

Die kirchliche Baukunst Deutschlands war mit der um die Mitte des 14. Jahrhunderts einsetzenden ent-
scheidenden Wendung zur Hallenkirche in den Entwicklungsabschnitt der Spätgotik eingetreten. Wir sind
heute weit davon entfernt, in dieser Wendung, wie man früher tat, ein Absinken von zuvor erreichter
Höhe zu sehen, und wissen, daß in diesen spätgotischen Hallenkirchen sich ein neues, auf eigenen Wegen
die Renaissance vorbereitendes Raumgefühl Bahn gebrochen hat. Allein die Endphase dieser fast zwei-
hundert Jahre währenden Spätstufe ist mit Beginn der Reformation so gut wie abgeschlossen und zeigt,
obwohl sie gerade auf sächsischem Gebiet, der zweiten Heimat Cranachs, zahlreiche und zum Teil be-
deutende Bauten hervorgebracht hat, daß die Möglichkeiten gotischen Bauens erschöpft waren. Von
revolutionären Kräften oder auch nur von einer neuen Haltung war im Sakralbau damals nichts zu
spüren. Und wie stand es mit dem Profanbau ? Die Albrechtsburg in Meißen, in den Jahren errichtet,
da Cranach ein Kind war, ist das erste Zeugnis einer neuen Wohnkultur in sächsischen Landen. Sie hat
die trutzige Wehrhaftigkeit schmuckloser geballter Mauermassen, Verworrenheit, Enge und Unbequem-
lichkeit im Innern aufgegeben zugunsten freien, großartigen Wohnens; sie ist keine Burg mehr, sondern
ein Schloß. Viele Schlösser sind ihr gefolgt, innen und außen prächtig anzusehen, Malern wie Cranach
ein reiches Betätigungsfeld bietend, sehr bald auch die neuen, von Italien her über die Alpen dringenden
Schmuckformen aufnehmend. Und was dem Fürsten recht war, das war dem aufstrebenden Bürger
billig. Auch er forderte jetzt, zu Reichtum und Selbstbewußtsein gelangt, daß sein Haus bequem und

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