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WALTHER SCHEIDIG

LUCAS CRANACHS SELBSTBILDNISSE
UND DIE CRANACH-BILDNISSE

Die bildende Kunst des Abendlandes hat im Mittelalter das Bildnis des Einzelmenschen nur in sehr be-
schränktem Umfange gekannt. Wo solche Bildnisse auftreten, wie zum Beispiel auf Münzen und Siegeln
der Kaiser und Könige, da sind sie nicht als Abbildung der individuellen Züge des Herrschers gemeint,
sondern als Bild der weltlichen Macht, und es ist durchaus keine seltene Ausnahme, daß sich das gleiche
Bildnis auf den Münzprägungen verschiedener, nacheinander regierender Herrscher vorfindet.

Zuerst in Italien, dann in anderen Ländern gewinnt seit dem 14. Jahrhundert der Mensch die Bewußtheit
seines irdischen Seins und überwindet die vom kirchlichen Dogma durch Jahrhunderte eingeprägte Lehre
von der Verächtlichkeit des Erdenlebens und der ererbten Sündigkeit des Leibes. Träger dieses
neuen Bewußtseins waren vor allem die Bürger, die durch ihre handwerkliche oder kaufmännische Ge-
schicklichkeit zu Reichtum
gelangt waren und denen dar-

124. Gefangennahme Christi • Holzschnitt • 1509 .

an gelegen sein mußte, die

von der Kirche verteidigte
„göttliche“ Ordnung der ir-
dischen Stände mit ihrer
Privilegierung des Adels zu
überwinden. In den italieni-
schen Stadtrepubliken, be-
sonders in Florenz und Ve-
nedig, wurde mit der bürger-
lich-demokratischen Verwal-
tung zum erstenmal in der
neueren Geschichte der Bür-
ger auf Grund seiner Tüchtig-
keit und seines dadurch er-
worbenen Reichtumes zum
Herrn der Geschicke des
städtischen Gemeinwesens,
befreit von der auf Standes-
privilegien beruhenden Le-
henspflicht gegenüber dem
Adel. In gleicher Richtung
verlief auch die Entwicklung
in den deutschen Landen,
wenngleich die freien Reichs-
städte hier niemals die gleiche
Macht wie die italienischen
Stadtstaaten erlangten. Die
deutschen Städte blieben auf
Schutzbündnisse mit den
Fürsten angewiesen,bei denen

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