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SUSANNE HEILAND

CRANACH IM URTEIL DER
KUNSTGESCHICHTE

Handelt es sich darum, das Bild eines Künstlers so vollständig wie möglich erstehen zu lassen, so
wird man nicht zuletzt die wechselvolle Geschichte seiner Wirkung und Wertung durch die Zeiten hin-
durch zu berücksichtigen haben. Man wird dabei im wesentlichen auf schriftliche Äußerungen zurück-
greifen müssen, um das zu rekonstruieren, was ehemals als „öffentliche Meinung“ über den Künstler und
seine Werke galt, wobei jedoch stets zu bedenken bleibt, daß eben diese Meinung jeweils nur von Ver-
tretern einer ganz bestimmten Bildungsschicht niedergeschrieben wurde.

In den seltensten Fällen wird aus dem Urteil über den Künstler eine zu jeder Zeit gleichbleibende Wert-
schätzung sprechen; weitaus häufiger werden wir einer den jeweiligen Zeitverhältnissen entsprechenden
wechselnden Bewertung begegnen. Das zeigt sich deutlich im Falle Cranachs; er erfährt als Künstler
eine überaus schwankende Beurteilung, die eng verbunden ist mit der Einschätzung der altdeutschen
Malerei überhaupt, als deren einer Hauptvertreter er gilt. Erschwerend tritt die Tatsache hinzu, daß
das Schaffen Cranachs keine auf den ersten Blick einheitlich erscheinende Entwicklung aufweist und
die Sympathien sich dementsprechend - wenigstens von einem bestimmten Zeitpunkt an - entweder
dem frühen oder dem späteren Werk des Meisters zuwenden.

Was Goethe in der Einleitung zur Geschichte der Farbenlehre erwähnt, nämlich die Schwierigkeiten,
die sich beim Referieren fremder Meinungen, bei einer Geschichte der Wissenschaften oder eines wissen-
schaftlichen Teilproblems zwangsläufig einstellen, gilt auch hier: „Ist der Referent umständlich, so er-
regt er Ungeduld und Langeweile; will er sich zusammenfassen, so kommt er in Gefahr, seine Ansicht
für die fremde zu geben; vermeidet er zu urteilen, so weiß der Leser nicht, woran er ist.“

Es muß also im folgenden versucht werden, aus der im Laufe der Zeit sich mehrenden Fülle der Äuße-
rungen unter Wahrung der ursprünglichen Diktion diejenigen hervorzuheben, die ein wesentliches Urteil
über den Künstler abgeben, wobei gleichzeitig Rückschlüsse auf die Person und Stellung des Urteilenden
gezogen werden sollen.

Die frühesten Äußerungen über Cranach stammen aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts und fallen
zeitlich zusammen mit den Anfängen einer Kunstgeschichtsschreibung diesseits der Alpen. In Italien
hatte dagegen schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts das erwachte nationale Bewußtsein zu einer hohen
Schätzung der eigenen Kunst und damit zu einer Hebung des Ansehens der Künstler geführt, wodurch
die Entwicklung einer eigenen Kunstbetrachtung begünstigt wurde. Die daraus resultierende Vor-
machtstellung Italiens sollte in der Zukunft auch in anderen Ländern entscheidenden Einfluß auf die
Wertung der Kunst haben. An dem von den Italienern aufgestellten Geschichtsbild - Blüte der Kunst in
der Antike, Verfall im Mittelalter, Wiedererstehen in Italien zur Zeit Giottos - glaubte man auch in
Deutschland die eigene Kunst messen zu müssen. Die Folge davon war, daß eine autonome Betrachtung
der deutschen Kunst erschwert wurde, wenn auch Ansätze dazu schon früh vorhanden sind, so in den
„Epithome rerum Germanicarum usque ad nostra tempora“1 (1505) des elsässischen Humanisten Jakob
Wimpfeling, wie denn überhaupt aus der Welt der Humanisten die ersten Äußerungen über deutsche
Kunst stammen.

Fast gleichzeitig mit Wimpfeling verfaßte der Nürnberger Humanist Christoph Scheurl seinen „Libellus
de laudihus Germaniae“2, dessen 2. Ausgabe von 1508 eine Lobrede auf seinen Landsmann Dürer ent-
hält, und ein Jahr später entstand als Widmungsbrief seiner akademischen Rede „Oratio attingens

1 Abriß der deutschen Geschichte bis auf unsere Zeit.

2 Büchlein über die Verdienste Deutschlands.

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