zu diesem heißt es, daß annähernde Vollständigkeit angestrebt worden sei; an einigen Stellen — so
besonders bei den Venus-, Lucretia- und Judithdarstellungen der zwanziger und dreißiger Jahre —kann
man sich allerdings kaum des Verdachts erwehren, daß die Verfasser über die Vollständigkeit hinaus-
gegangen sind und manches Werkstattbild im Interesse des Kunsthandels als Werk des älteren Cra-
nach legitimiert haben. Diese Annahme erscheint um so begründeter, als bei den nach 1537 entstandenen
Gemälden zwar wiederholt die Urheberschaft des jüngeren Cranach oder der Werkstatt in Erwägung
gezogen, der größte Teil der im Kunsthandel befindlichen späten Bilder aber für eigenhändig erklärt
wird.
Die Schlacht um den jungen Cranach ist nicht ausgekämpft worden. Weil Quellen und Material nicht
zu finden waren, kapitulierte man schließlich vor dem Problem der Entwicklung vom jugendlichen
Stürmer zum Wittenberger Hofmaler oder man wich ihm aus und nahm es nicht mehr wichtig. So
widmet Hans Posse (1942) dieser Frage nur wenige Sätze; dafür gibt er ein ansprechendes, mehr für
den Laien bestimmtes Resümee alles dessen, was von Leben und Werk gesichert erscheint. Cranachs
historische Stellung und seine künstlerische Eigenart umschreibt er so: „Wie fast alle großen Meister
seiner Epoche ist Cranach durch seine Geburt im 15. Jahrhundert noch eng dem Zeitalter der Spät-
gotik und seinen Traditionen verbunden. In ungleich stärkerem Maß aber als Dürer, in dessen Schaffen
die schicksalsschwere Berührung mit Italien zu einer höchsten Steigerung und Bereicherung, einer
Klärung und Festigung deutschen Kunstwollens geführt hat, verrät Cranachs Lebenswerk die Herkunft
aus spätgotischem Geist und spätgotischer Natur- und Formauffassung in der Empfindung für die zeich-
nerische Form, die ausdrucksvolle Linie und den bewegten Umriß, für das Krause und Geschnörkelte
der Zeichnung, in dem Sinn für ornamentale Schmückung der Bildfläche und der offensichtlichen Zu-
rückhaltung gegenüber den Regeln und Forderungen der neuen Kunst.“
Im gleichen Jahr 1942 erschien das Buch von Heinrich Lilienfein „Cranach und seine Zeit“ als Versuch
eines „poetischen“ Cranacli-Bildes. Die Überschriften einiger Abschnitte mögen die Art der Behandlung
charakterisieren: „Als Holzschnittmeister und Maler unter Heiligen und Rittern, im Dienste der Kirche
und der Frau Welt - Laute Welt und stilles Reifen - In Gottes deutschem Märchengarten - Ausklang in
erfüllter Sendung.“ Neue wissenschaftliche Ergebnisse sind nicht zu erkennen.
Eine Rückschau ergibt: Der scheinbar so einfache Meister von Kronacli und Wittenberg ist gar nicht
so leicht zu ergründen. Daß er zu den wirklich großen deutschen Malern gehört, ist selten bestritten
worden und hat sich wohl für immer durchgesetzt. Aber das letzte Wort über den Kern seines Wesens
ist noch nicht gesprochen, eine zweifelsfreie Erklärung seines Stilwandels und der eigentümlichen Un-
gleichmäßigkeit und Vielgestaltigkeit seines Schaffens noch nicht gefunden. Unserer neuen Zeit bleibt
es Vorbehalten, mit neuen Methoden ein neues Cranach-Bild zu erarbeiten.
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besonders bei den Venus-, Lucretia- und Judithdarstellungen der zwanziger und dreißiger Jahre —kann
man sich allerdings kaum des Verdachts erwehren, daß die Verfasser über die Vollständigkeit hinaus-
gegangen sind und manches Werkstattbild im Interesse des Kunsthandels als Werk des älteren Cra-
nach legitimiert haben. Diese Annahme erscheint um so begründeter, als bei den nach 1537 entstandenen
Gemälden zwar wiederholt die Urheberschaft des jüngeren Cranach oder der Werkstatt in Erwägung
gezogen, der größte Teil der im Kunsthandel befindlichen späten Bilder aber für eigenhändig erklärt
wird.
Die Schlacht um den jungen Cranach ist nicht ausgekämpft worden. Weil Quellen und Material nicht
zu finden waren, kapitulierte man schließlich vor dem Problem der Entwicklung vom jugendlichen
Stürmer zum Wittenberger Hofmaler oder man wich ihm aus und nahm es nicht mehr wichtig. So
widmet Hans Posse (1942) dieser Frage nur wenige Sätze; dafür gibt er ein ansprechendes, mehr für
den Laien bestimmtes Resümee alles dessen, was von Leben und Werk gesichert erscheint. Cranachs
historische Stellung und seine künstlerische Eigenart umschreibt er so: „Wie fast alle großen Meister
seiner Epoche ist Cranach durch seine Geburt im 15. Jahrhundert noch eng dem Zeitalter der Spät-
gotik und seinen Traditionen verbunden. In ungleich stärkerem Maß aber als Dürer, in dessen Schaffen
die schicksalsschwere Berührung mit Italien zu einer höchsten Steigerung und Bereicherung, einer
Klärung und Festigung deutschen Kunstwollens geführt hat, verrät Cranachs Lebenswerk die Herkunft
aus spätgotischem Geist und spätgotischer Natur- und Formauffassung in der Empfindung für die zeich-
nerische Form, die ausdrucksvolle Linie und den bewegten Umriß, für das Krause und Geschnörkelte
der Zeichnung, in dem Sinn für ornamentale Schmückung der Bildfläche und der offensichtlichen Zu-
rückhaltung gegenüber den Regeln und Forderungen der neuen Kunst.“
Im gleichen Jahr 1942 erschien das Buch von Heinrich Lilienfein „Cranach und seine Zeit“ als Versuch
eines „poetischen“ Cranacli-Bildes. Die Überschriften einiger Abschnitte mögen die Art der Behandlung
charakterisieren: „Als Holzschnittmeister und Maler unter Heiligen und Rittern, im Dienste der Kirche
und der Frau Welt - Laute Welt und stilles Reifen - In Gottes deutschem Märchengarten - Ausklang in
erfüllter Sendung.“ Neue wissenschaftliche Ergebnisse sind nicht zu erkennen.
Eine Rückschau ergibt: Der scheinbar so einfache Meister von Kronacli und Wittenberg ist gar nicht
so leicht zu ergründen. Daß er zu den wirklich großen deutschen Malern gehört, ist selten bestritten
worden und hat sich wohl für immer durchgesetzt. Aber das letzte Wort über den Kern seines Wesens
ist noch nicht gesprochen, eine zweifelsfreie Erklärung seines Stilwandels und der eigentümlichen Un-
gleichmäßigkeit und Vielgestaltigkeit seines Schaffens noch nicht gefunden. Unserer neuen Zeit bleibt
es Vorbehalten, mit neuen Methoden ein neues Cranach-Bild zu erarbeiten.
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